7. Umzug

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Ich richtete meinen Blick aus dem Fenster. Der Himmel war kristallklar, die Sonne schien mir ungehindert ins Gesicht und erwärmte meine Haut. Genießerisch schloss ich für einen kurzen Augenblick die Augenlider.

Ich konnte es kaum glauben. Ich war doch tatsächlich auf dem Weg in meine erste eigene Wohnung. Nun ja, eigentlich war es nur ein Zimmer in einem Studentenwohnheim, welches ich mir womöglich noch mit einer Mitbewohnerin teilen würde. Doch ein eigenes Zimmer in einem Studentenwohnheim, in einer riesigen und fremden Großstadt glich dem Gefühl einer eigenen Wohnung. Auch wenn ich, im Gegensatz zu einer Wohnung, kein großes Mitspracherecht bei der Wahl des Standortes und der Gestaltung hatte. Immerhin wurde mir eins von drei Studentenwohnheimen zugewiesen, ebenso wie das Zimmer, die Mitbewohnerin und möbliert war es auch.

Doch es gab weit aus Schlimmeres.

Ich konnte mich in der Regel recht gut mit unbekannten Situationen arrangieren. Schließlich hatte ich mich nicht ohne Grund für eine Universität in einer Großsstadt entschieden. Neben der offensichtlichen Tatsache, dass es in meinem kleinen Kaff keine Universität gab, wollte ich etwas Neues erleben: Neue Menschen, neue Umgebung, neue Herausforderungen.

Seit Monaten sehnte ich mich nach diesem Tag. Auch wenn ich meine Eltern vermissen werden. Letztendlich wohnen sie nur fünf Autofahrtstunden entfernt. Sollte ich demnach untergehen — wovon ich keineswegs ausging — blieb mir immer die Möglichkeit nach Hause zurückzukehren.

Neugierig warf ich einen lächelnden Blick aus dem Autofenster. Vor zehn Minuten waren wir in Bakersfield eingefahren. Es war nur noch eine Frage der Zeit bis wir den Campus der Universität erreichen würden.

Ich kam jetzt schon nicht mehr aus dem Staunen heraus.

Die Straßen waren vier Mal so breit wie bei uns zu Hause und mindestens um ein Vierfaches verstopfter. Es reihten sich die unterschiedlichsten Autos in die verschiedenen Spuren ein.
Entlang des Straßenrands erstreckten sich gefüllte Fußgängerwege. Überall waren Menschen zu sehen, die von A nach B rannten, auf einen Bus warteten, ein Taxi riefen, in Gruppen entlangschlenderten, joggten oder einfach nur mit einem Bagel in der Hand spazieren gingen, während sie Musik hörten. Es reihte sich ein Haus an das andere und es schien so als würde jedes Haus die Höhe seines Nachbarn überbieten wollen, indem es noch einen Stock höher war. Überall standen Werbereklamen oder blinkende Ladenschilder. Alles schien so lebendig und wundervoll bunt, so dass mein Lächeln vermutlich noch breiter wurde.

Ich konnte nicht fassen, dass ich hier ebenfalls bald entlang laufen, meine Snacks kaufen oder shoppen gehen würde.

„Lou?", drang es laut durch den Klang meiner Kopfhörer zu mir durch.

Suchend richtete ich meinen Blick nach vorn und nahm die Ohrstöpsel raus: „Mh?"

Meine Mutter hatte sich fragend zu mir umgedreht und blickte mich vom Beifahrersitz aus an.

„Entschuldige, was gibt es?"

Zwischen dem Klang meiner Musik und dem Aufnehmen der neuen Eindrücke hatte ich gar nicht bemerkt, dass meine Mutter mit mir gesprochen hatte.

Sie lächelte mir wissend entgegen, bevor sie ihre Frage wiederholte: „Ich habe dich gefragt, ob du nervös bist?"

„Ach, Mariá. Unsere Tochter und nervös?", mischte sich mein Vater ein, der hinter dem Steuer saß und mir über den Rückspiegel einen kurzen, kecken Blick zuwarf: „Ich denke viel mehr, dass sie es kaum abwarten kann sich in das Großstadtleben zu stürzen."

Ein kurzes Lächeln huschte über meinen Lippen. Mein Vater kannte mich leider ein bisschen zu gut.

„Mike, bitte halte die Augen auf der Straße. Du fährst doch.", beschwerte sich meine Mutter und klammerte sich fest um den Griff der Tür. Sie hasste es, wenn mein Vater sich nicht zu konzentrieren schien. Da konnte er ein noch so guter Autofahrer sein. Sie bekam bereits Panik, wenn er das Lenkrad nur mit einer Hand festhielt oder sich mehr als eine Sekunde von der Straße abwandte.

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