Kapitel 2

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Die Marktstraße war voller Kleinbauern und Händler, die mit wilden Rufen ihre Ware ankündigten. Sie wurden nur von den Schreien der Ziegen und dem Gegacker der Hühner übertönt, die man dort feilbot. Ein Lärm, dem Marlon kaum standhielt. Immer, wenn Olaf ihm auftrug, auf den Markt zu gehen, bahnten sich Kopfschmerzen an, die hier ihren Höhepunkt erreichten. Überall tummelten sich Menschen und es gab kaum etwas, das Marlon mehr verabscheute. Und das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Fynn hingegen freute sich stets auf den Markt. So viele Eindrücke, die für ihn stets neu und aufregend erschienen. Geräusche, die er nur hier hörte. Gerüche, die er nur hier roch. Ganz gleich, wie sehr es stank, er mochte es. Deshalb bat er Marlon auch jedes Mal, in seiner Tasche mitreisen zu dürfen, wenn er dorthin geschickt wurde. Was für den Igel pure Faszination bedeutete, konnte Marlon vermutlich nicht unangenehmer sein. Allerdings beruhigte es ihn ein bisschen, seinen Freund bei sich zu wissen. Selbst wenn Fynn nie sein Versteck verließ.

Auch jetzt saß er wieder munter in Marlons Oberhemd und schielte vorsichtig nach draußen. Er liebte es, Geschehen zu beobachten und Marlon musste ihm hin und wieder Einhalt gebieten, wenn er sich zu weit hinaus reckte.

Marlon steuerte zielsicher auf Hilda zu. Sie stand immer an derselben Hausecke und verhielt sich im Gegensatz zu den anderen eher ruhig. Deshalb mochte er sie. Sie war alles andere als aufdringlich und ließ sich nie durch Vorurteile beeinflussen. Sie wollte stets ihr eigenes Urteil bilden und war damit die Einzige.

Manchmal redete Marlon gerne mit ihr. Dann blieb er sogar noch etwas stehen, um sich zu unterhalten. Das passierte allerdings sehr selten. Für gewöhnlich versuchte er so schnell wie möglich zurück zur Schmiede zu kommen und vor den Leuten zu fliehen. Denn selbst wenn er es vermied, die Menschen um sich herum auch nur anzusehen, so spürte er die Blicke, die ihn durchbohrten. Gehässige Blicke, die ihn verwünschten. Und das wollte er sich keinesfalls antun.

Sich den Weg zu Hilda durchzukämpfen war ziemlich schwierig. Zu Marktzeiten war die Straße überfüllt. Dronar war zwar ein kleines Dorf, aber trotzdem – oder gerade deswegen – herrschte unglaubliches Gedränge.

Weil Marlon sich zu sehr darauf konzentrierte, möglichst unbeachtet zu bleiben, bemerkte er den Fuß auch erst, als er daran hängen blieb und darüber stolperte.

Pibbs grunzendes Lachen erkannte er, ohne auch nur aufsehen zu müssen. Pibb war kein schöner Anblick. Obwohl er kaum älter war als Marlon, bedeckte seinen Kopf schon lange keine volle Haarpracht mehr und die vorderen Schneidezähne waren durch eine Lücke getrennt. Die gebückte Haltung ließ eher auf einen Bauer, als auf einen Adelssohn schließen. Seine Eltern allerdings besaßen genug Geld, um ihrem Sohn die hohe Stellung im Dorf zu gewährleisten. Sein Vater sah sogar darüber hinweg, dass es sich überhaupt nicht um seinen leiblichen Sohn handelte. Wahrscheinlich hatte er von seiner Mutter die Hässlichkeit geerbt und von dem Stiefvater lediglich das Vermögen erhalten. Pibb und seine Familie waren allgegenwärtig Gegenstand der Tratschereien in Dronar, doch das schien diese nur wenig zu interessieren. Denn es ging ihnen nicht um Ansehen, sondern um Macht.

»Wenn das nicht unser nichtsnutziger Waisenknabe ist. Na, Marlon, schon vergessen, dass du Wegzoll zahlen musst?« Pibb lachte und sein Gefolge tat es ihm gleich. Marlon rappelte sich auf und schaute den Kerl gar nicht erst an. Diese Genugtuung wollte er ihm keinesfalls geben. Er versuchte, einfach an ihnen vorbei zu gehen, um endlich zu Hilda und anschließend zurück in die Schmiede zu kommen, aber Pibb hielt ihn auf.

»Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede, du Ratte!« Er stieß Marlon weg. Dieser hatte Mühe, die Beherrschung zu bewahren. Immerhin befanden sich in seinem Beutel drei geschliffene Messer. Er bräuchte nur eines davon zu ziehen und Pibb würde das Lachen vergehen. Er musste ihn ja nicht ernsthaft verletzen. Ein paar Schnittwunden reichten. Lediglich wenige Kratzer. Er würde Marlon für immer in Ruhe lassen – oder für immer jagen.

Der GezeichneteWhere stories live. Discover now