Kapitel 14

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Hannah kauerte auf einem dunklen Dachboden. Der Mond drang durch wenige Risse in den schmalen Holzwänden und beleuchtete den Boden mit kleinen einfallenden Linien. Der gesamte Raum war leer. Hier gab es nichts außer kahle Wände und eine Falltür, die nach unten führte. Natürlich war sie abgeschlossen.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis schließlich jemand zu ihr kam, und ihr etwas zu essen brachte. Ausgerechnet Pibb.

»Habt ihr endlich erreicht, was ihr wolltet?«, spuckte sie ihm entgegen und hasste ihn für sein dämliches Grinsen.

Er nickte triumphierend, ging allerdings nicht weiter darauf ein.

»Kann ich dann wieder raus kommen?«

»Du willst schon gehen?« Seine Stimme war grässlich. Sie verabscheute ihn in allem, was er war. »Ich will sicher gehen, dass du ihm nicht, närrisch wie du bist, folgst. Du bist eine Gefahr für dich und uns alle, deshalb solltest du lieber eine Weile hier bleiben.« Er stellte das Essen ab und drehte sich gleich darauf um. Er schaute sie nicht mehr an, als er weiterredete: »Hiermit kannst du dir deine Zeit vertreiben, bis ich mir sicher bin, dass keine Gefahr von dir ausgeht.«

Er verließ den Raum, aber gerade, als sie sich über das Essen hermachen wollte, öffnete sich die Falltür erneut. Wen sie diesmal sah, betrachtete sie mit derselben Abscheu.

»Hannah, Schatz. Geht es dir gut?« Evelyn, ihre Mutter, stürmte auf sie zu und nahm sie überschwänglich in die Arme. Sie schien besorgt. Als hätte sie das bisher jemals ernst gemeint.

»Ihr seid nicht hier, um mich raus zu holen?« Es klang eher wie eine Feststellung, als nach einer Frage.

»Wir sind ziemlich enttäuscht von dir«, sagte ihr Vater, ohne ihr zu antworten und kam keinen Schritt näher. Er schnaubte durch die Nase. Wie er es immer machte, wenn er wütend war.

»Ausgerechnet der Verderbnisbringer muss es also sein, hm?« Ihre Mutter schaute ihr tief in die Augen, als verdeutlichte das ihren Kummer. Darauf fiel Hannah nicht mehr herein. Sie hatte schon lange aufgehört, ihnen zu vertrauen.

»Wie erklärt ihr mir den Wandteppich im Schlafzimmer?«, wechselte sie das Thema.

Evelyn schnappte erschrocken nach Luft. Sie versuchte, beruhigende Worte zu flüstern, um einen Streit abzuwenden, aber Geoff, Hannahs Vater, kam ihr zuvor.

»Was sollen wir daran erklären? Ein Überbleibsel, ein Erbstück deiner Großeltern.«

»Marlon trägt nahezu exakt dasselbe Muster!« Sie brüllte. Eigentlich wollte sie Ruhe bewahren, ihren Eltern keinesfalls zeigen, wie sehr das alles sie aufwühlte.

»Hannah, Kind, wir wollen doch nur dein bestes.« Evelyn heulte.

»Seit wann interessiert euch, was das Beste für mich ist?«

»Haben wir dir nicht verboten, in unser Schlafzimmer zu gehen?« Ihr Vater wich dem Gespräch aus, wie jedes Mal, sobald es unangenehm wurde.

»Ich habe nicht bloß den Teppich gefunden«, murmelte Hannah und Evelyn gab einen Schreckenslaut von sich. Also verbargen sie doch etwas! Sie hatte es sofort geahnt, als sie das Symbol in ihrem Haus zu Gesicht bekam.

»Was noch?« Ihr Vater testete sie. Er ließ sich nicht so leicht durchschauen wie ihre Mutter. Er prüfte, ob sie die Wahrheit sagte.

Natürlich log sie. Sie hatte keine Ahnung, was sie vor ihr verheimlichten. Sie hatte keine Zeit gehabt, mehr herauszufinden.

Aber die Reaktion ihrer Mutter war eindeutig und das reichte.

»Hannah, wir dachten nie, dass es nötig ist, dir davon zu erzählen.« Evelyn wurde schwach. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihre einzige Tochter nicht liebte. Umso übertriebener versuchte sie deshalb, deren Liebe zu erkaufen.

»Evy, lass!« Geoffs Ton klang besitzergreifend und herrisch, doch sie redete weiter.

»Sie muss es erfahren! Ich will es nicht länger verheimlichen!« Wieder brach sie in Tränen aus. »Wer hätte ahnen sollen, dass dieses Biest kommen würde.« Dass ihre Tochter beinahe Opfer eines Drachenangriffs geworden war, wurde bis zu dem Zeitpunkt vehement totgeschwiegen. Wie alles, das ihren Eltern unangenehm war.

Gerade als Hannah glaubte, ihre Mutter dazu gebracht zu haben, endlich die Wahrheit zu sagen, öffnete sich die Falltür erneut. »Die Besuchszeit ist um!«


Der GezeichneteDonde viven las historias. Descúbrelo ahora