Kapitel 16

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»Du bist also der Poltergeist, der in meiner Schmiede haust?«, kicherte Olaf ziemlich gelassen und betrachtete Fynn grinsend, der es sich auf der Werkbank bequem gemacht hatte.

Als Marlon rein kam, war ihr Gespräch schon in vollem Gange. Olaf saß auf dem Hocker zwischen der Werkbank und der großen Holztruhe, in der er Werkzeug aufbewahrte. Der Platz, an dem er stets hockte, wenn er Marlon beim Arbeiten beobachtete. Eine Hand umklammerte einen Tonkrug, die andere stützte seinen Kopf, um mit dem Igel auf Augenhöhe zu sein. Er schien die Tatsache, einem sprechenden Tier gegenüberzusitzen, gefasster aufzunehmen, als Marlon es erwartet hatte. Das mochte vielleicht am Alkohol liegen, den er bereits intus hatte. Besser so, als einer seiner Wutausbrüche, bei denen er breit erklärte, was man falsch gemacht hatte.

In Dronar war es sicherlich gesetzeswidrig ein redendes Tier ohne Genehmigung zu halten - oder überhaupt von deren Existenz zu wissen. Die Leute hier waren viel zu engstirnig, um solche Wunder zuzulassen. Sie würden bestimmt nicht zögern, Fynn und alle, die mit ihm in Verbindung standen, loszuwerden.

»Hab mich schon lang gefragt, was in Marlons Zimmer ständig die Geräusche auf den Holzdielen macht. Habe mit allem gerechnet - Holzwürmer, Maden, Fledermäusen -, aber nie mit nem sprechenden Igel.« Olaf legte sein Kinn auf die Kante der Werkbank, um Fynn eindringlicher zu betrachten. Es rechnete wahrscheinlich niemand mit einem Wesen wie ihn. Nicht nur, dass er redete, er war auch bedeutend klüger als die meisten Menschen des Dorfes.

»Es tut mir leid, dass ich lange ein ungesehener Gast in Ihrem Zuhause war«, sagte Fynn ernst und Olaf lachte.

»Eins muss ich dir lassen, Kleiner, konntest dich wirklich gut verstecken.«

»Die Holzdielen sind eine gute Warnung.«

Marlon stand mit offenem Mund da und betrachtete seine beiden engsten Vertrauten, wie sie miteinander sprachen, als kannten sie sich bereits seit Ewigkeiten. »Du scheinst die Nachricht ja gut aufzunehmen«, meinte er perplex und erst jetzt schien Olaf seine Anwesenheit zu bemerken.

»Junge!« Er hievte sich sogar vom Stuhl auf und torkelte ihm entgegen. Er hatte definitiv zu viel erwischt. »Ich dacht schon, ich hätt dich verloren. Die sagten mir, du seist tot.« Er schloss Marlon fest in die Arme und vergrub sein Gesicht in dessen Schulter. Er spürte, wie sich darauf Tränen sammelten. Eben noch hatte Olaf kaum aufgehört zu lachen und nun war es ihm unmöglich, das Schluchzen zu verbergen. Nach einer Weile schaute er Marlon aus einer Armlänge Entfernung an und rümpfte die Nase. Seine nassen Augen standen im direkten Gegensatz zu seinem Grinsen. »Ich hätt wissen müssen, dass du viel zu zäh bist, als dass die Spießbürger dir was anhaben könnten.« Jetzt lachte der Alte triumphierend und prostete Marlon mit seinem leeren Krug zu. Er trank die letzten Tropfen, die noch daraus flossen, und ließ ihn dann mit einem lauten Knall auf die Werkbank sausen. »Die Narren. Glauben, Probleme könne man einfach aus der Welt schaffen, wenn man se nicht mehr braucht. Hätte der Drache denen doch nur gezeigt, wie unmöglich das ist.« Er ließ sich zurück auf den Hocker fallen und konzentrierte sich wieder auf Fynn.

»Genau darüber wollte ich mich mit dir unterhalten«, begann Marlon und lehnte sich gegen die Werkbank. »Wir waren in einem Tal mitten im Wald und haben dort einen Drachen gefunden. Genau genommen Brak'dag Norja. Sie ist verletzt und-«

»Wie kommt es eigentlich, dass du reden kannst?«, unterbrach Olaf ihn und schien überhaupt nicht zugehört zu haben. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt nur dem kleinen Igel, der ebenso darauf brannte, alles über die Drachen zu erfahren. Allerdings machte es den Anschein, als gefiel ihm, im Mittelpunkt zu stehen.

»Eine Hexerin hat mich zu ihrem Seelentier ernannt«, sagte er mit einer Ernsthaftigkeit, die Marlon verwunderte. Ihm hatte er noch nie erzählt, wodurch er das Sprechen gelernt hatte und schon gar nichts über eine Hexerin. Ihm wurde klar, dass er auch nicht danach gefragt hatte. »Sie lehrte mir das Reden und das Lesen. Dann schickte sie mich fort, wollte, dass ich die Welt sehe. Inzwischen ist sie tot, glaube ich. Verbrannt. Diese grausamen Menschen.« Er seufzte schwermütig.

Der GezeichneteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt