Kapitel 22

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Ein Kuss, den zu beschreiben es nicht möglich war. Wie tausende Stromstöße, die durch seinen Körper schossen. So zart, dass es sich kaum nach mehr anfühlte, als ein sanfter Windstoß, der über seine Lippen wehte. Und doch so intensiv, dass das einzige Gefühl, das ihn beherrschte, Hingebung war. All ihre Emotionen, ihre gesamten Gedanken strömten auf ihn ein und machten dieses Gefühl noch eindrucksvoller. Als gab es eine eigene Welt nur für diesen kleinen Kuss.

Marlon war völlig überwältigt, als Andalie sich von ihm löste und ihn mit großen Augen musterte. Sie wartete auf eine Reaktion, aber er schaffte es nicht einmal, sich zu bewegen. Er konnte unmöglich in Worte fassen, was er fühlte. Viel zu einnehmend war dieser eine Gedanke: Andalie hatte ihn geküsst. Und zwar nicht als Drache, sondern als Mensch.

»Ich wusste nicht, dass du sowas kannst«, murmelte er und räusperte sich. Seine Stimme blieb ihm beinahe weg. Er war heiser vom Schweigen, vom küssen.

Hatte Hannah je so etwas in ihm ausgelöst? War es jemals so ehrlich, so intensiv gewesen? Er erinnerte sich an keinen einzigen Kuss mit ihr, als sei es Ewigkeiten her.

Alles, woran er dachte, war Andalie. Ihre menschliche Gestalt war so unbeschreiblich hübsch und doch hatte er kaum Gelegenheit gehabt, sie zu betrachten. Sie war so schnell gegangen, wie sie erschienen war.

Auch wenn er wusste, dass niemals etwas so eindringlich und beherrschend sein konnte, wie dieser Kuss, wagte er es nicht, darüber nachzudenken, was er empfand. Er bekam Angst davor, ob das, was sich tief in ihm anfühlte wie Liebe, nur ein Nebeneffekt der Prägung war.

Er machte sich Sorgen nur deshalb etwas für Andalie zu empfinden. Dennoch konnte er das Gefühl kaum unterdrücken.

»Das ist nicht das, was du hören wolltest«, stellte er fest, als er in ihre beinah enttäuschten Augen sah. Doch welche Reaktion war angemessen? Es gab keinen Gedanken, der Marlon in diesem Moment richtig vorkam. Einen Drachen zu lieben war absurd. Und es nicht zu tun, war wie ein Verrat gegen sich selbst.

»Wieso hast du-«, erneut räusperte er sich, diesmal, um dem Gespräch länger aus dem Weg zu gehen. »Du hast mich geküsst.« Es klang wie eine Feststellung. So, als habe er es soeben erst bemerkt, nachdem der zauberhafte Moment bereits vorüber war.

Er wusste einfach nicht damit umzugehen. Zuerst redete sie kein Wort mit ihm und nun das. Die Prägung, der Kuss, diese ungebändigten Gefühle. Er schaffte es kaum, sie unter Kontrolle zu halten.

»Ihr Menschen macht das doch, wenn ihr euch zueinander hingezogen fühlt«, meinte Andalie verlegen und sah ihn dabei nicht an. Auch er wusste nicht, wohin er schauen sollte und entschied, seine Füße zu beobachten, die nervös einen Stein vor sich hin und her schoben. Beinahe so, als gab es gerade nichts Interessanteres zu sehen.

Obwohl sich beide unschlüssig darüber waren, wie es weitergehen sollte, schien es Fynn weitaus unangenehmer zu sein, Zeuge des Ereignisses geworden zu sein. Er räusperte sich und Marlon bemerkte erst dann wieder seine Anwesenheit. »Ich hätte ehrlich nicht gedacht, dass es noch seltsamer werden kann«, sagte er und redete augenscheinlich mehr zu sich selbst.

Das erleichterte die Situation keineswegs. Das machte es bloß schwieriger, sich herauszuwinden.

»Ich... wir sollten gehen«, stammelte Marlon nach einer Weile des Schweigens und kaum hatte er es ausgesprochen, bereute er es bereits. Andalies abfälliges Schnauben zeigte deutlich, was sie darüber dachte.

Eigentlich sollte er ihr sagen, was er wirklich fühlte. Dass der Kuss zwischen ihnen magisch war. Nicht nur, weil sie ein Drache war. Es war eine Verbundenheit, die er vom ersten Augenblick an gespürt hatte. Er konnte sich selbst kaum eingestehen, dass er verliebt war. Allerdings nicht in Hannah, wie er es bisher angenommen hatte.

Der GezeichneteHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin