2 - Andere haben lieber 'ne Kuh als Chef

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Die Schule war überstanden, der Tag jedoch noch nicht.

Ich hatte es selbst kaum glauben können, aber nur ein Tag, nachdem ich meine Bewerbung abgeschickt hatte, war ich per Mail zu einem Gespräch eingeladen worden. Offensichtlich war die Bewerberzahl sehr überschaubar gewesen, was wohl auch daran lag, dass die Menschen der Umgebung über die Internatsschüler ähnlich dachten wie meine Mutter. Lieber würden die Henseberger sich ihren Rindern unterwerfen anstatt den reichen Schnöseln.

Wiebke und Steffi winkten mir aus dem Bus zu, während ich meine Bluse zurechtrückte. Zwar ging es hier nur um einen Job als Tellerwäscherin, aber es war trotzdem ein Bewerbungsgespräch und deshalb waren meine Haare auch ordentlich geflochten und die Jeansjacke war heute einem Blazer gewichen, den mir Wiebke überlassen hatte. Sie war deutlich größer als ich, weshalb ich stets von ihren aussortierten Sachen profitierte.

Um Punkt Vier sollte ich vor dem Eingang des Schlosses warten. Es war kein Prinzessinnenschloss, in dem Cinderella unter einem gläsernen Kronleuchter ihr Tanzbein schwingen würde. Es war mehr wie ein altes Herrenhaus aus den Jane Austen Verfilmungen. Ich hatte das Gebäude noch nie betreten, doch ich stellte es mir wie in einem Museum vor. Bestimmt gab es antike Möbelstücke und teure Gemälde an der Wand. Bedienste verjagten jedes Staubkorn nd Sitzmöbel sahen so teuer aus, dass man sich nicht traute sie auch nur zu berühren, geschweigen denn den Allerwertesten darauf zu platzieren.

Auch wenn ich es nicht gerne zugab, war ich aufgeregt. Ich brauchte diesen Job unbedingt.

„Johanna?", sprach mich ein Mann an.

Ich wirbelte herum.

Ich war überrascht, als ich feststellte, dass der Mann, der dort stand und meinen Namen gesagt hatte, eine einfache Blue Jeans trug und seinen Bierbauch unter einem handelsüblichen Rollkragen Pulli versteckte. Wer hätte gedacht, dass ich mich im Schloss Straußburg mal overdressed fühlen würde?

„Das bin ich", offenbarte ich meine Identität und streckte meine Rücken, um nicht den Eindruck eines Dorftrampels zu hinterlassen.

Der Mann lächelte freundlich, was mich irritierte. Ich hatte eigentlich mit einem Herren im feinen Anzug und mit Stock im Arsch gerechnet. Einer, der mich hochnäsig ansah und die Nase rümpfte, wenn er meinen heruntergehunzten Rucksack sah. Doch der Mann, der mir gegenüberstand, sah so aus, als würde er auf sein Abendbierchen beim Fußballgucken nicht verzichten und die Unterhose auch manchmal erst alle drei Tage wechseln. Spießig war definitiv anders.

Er streckte mir die Hand entgegen.

„Ich bin Ralf. Ich kümmere mich um das Personal in der Küche und koordiniere die Essenslieferungen und so etwas. Freut mich, dass du gekommen bist." Und ich dachte immer, dass man sich bei Bewerbungsgesprächen siezte. „Hast du gut hergefunden?"

Ich nickte und versuchte meine Verwirrung über die Lockerheit dieses Gespräches zu überspielen.

„Ja, ich wohne in Henseberg. Ich bin auf dem Weg von der Schule hier ausgestiegen."

Er lächelte wieder höflich. Ich mochte ihn.

„Das ist ja praktisch. Dann folge mir. Ich bring dich mal in die Gemäuer von Schloss Straußburg. Warst du schon mal drin?", erkundigte er sich interessiert.

„Nein, noch nicht."

„Na dann wird es mal Zeit!"

Er stieg ein paar Stufen zum Eingang hinauf. Ich bekam, dass Gefühl, dass ich meine Stärken und Schwächen umsonst einstudiert hatte. Meine Argumentation, warum ausgerechnet Ich für die Stelle geeignet war, konnte ich mir wohl auch sparen.

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