27 - Die Augen eines Fremden

15.6K 1.4K 132
                                    


„Was ist denn mit dir passiert? Bist du auf dem Weg hierher einem Geist begegnet?"

Ich ließ mich neben ihm auf die Bank fallen. Sofort nach dem Gespräch mit meiner Mutter hatte ich ihm geschrieben, dass ich ihn unbedingt treffen musste. Und so hatten wir uns für um sieben unter der alten Eiche am Waldrand verabredet gehabt.

„Du glaubst nicht, was ich gerade erfahren habe", kam es mit schwacher Stimme aus mir heraus. Mein Blick ging in die Ferne, wo die Wolken die Farbe eines Orangeneises angenommen hatten. Sonnenuntergänge waren etwas Schönes, doch im Moment hatte ich anderen Gedanken, die durch mein Gehirn spukten.

„Was ist passiert?"

Ich schüttelte noch immer ungläubig meinen Kopf. Es fiel mir noch immer schwer das zu glauben, was mir meine Mutter heute offenbart hatte.

„Meine Mama hat mir erzählt, warum sie alle vom Internat hasst und ehrlich gesagt, kann ich sie sogar ein bisschen verstehen."

Nils zog überrascht seine Augenbrauen nach oben.

„Willst du mir gerade sagen, dass du mich jetzt auch hasst?"

Ich lächelte, jedoch nur für einen kurzen Moment.
„Nein, natürlich nicht. Als ob ich dich hassen könnte. Ich kann einfach nur verstehen, dass meine Mutter so eine Abneigung entwickelt hat. Sie hat ihre Gründe"

Nils nahm meine Hand und hielt sie fest.
„Willst du mir diese Gründe auch verraten?"

Ich nickte.

„Mein Vater ist von Schloss Straußberg", hörte ich mich sagen. Es war direkter, als ich es geplant hatte. Nils' Gesichtsausdruck zufolge zu direkt. „Also mein richtiger Vater. Der Mann, mit dem ich aufgewachsen und den ich immer Papa genannt habe ist nicht mein Vater. Jemand anderes ist mein Erzeuger und dieser Mann war von Schloss Straußberg."

„WAS?", schoss es sofort aus seinem Mund.

„Ich weiß, es ist krass und ich kann das gar nicht glauben. Das ist ein ganz komisches Gefühl so etwas zu erfahren."

„Das ist richtig krass!"

„Ja und dieser Typ, der mein Erzeuger ist, hat meine Mutter wie ein Arschloch behandelt, als er herausgefunden hat, dass sie schwanger war. Er wollte ihr richtig viel Geld geben, damit sie abtreibt, doch sie hat sich geweigert und dann haben die Leute von Schloss Straußberg tyrannisiert. Deshalb mag sie keinen von euch."

„Oh mein Gott!"

„Ja, ich weiß!"

Ich seufzte und wusste nicht, was ich denken sollte. Ich legte meinen Kopf auf Nils' Schulter ab. Ich war so froh, dass ich meinen Freund hatte, mit dem ich diese beschissene Situation teilen konnte. Ich wüsste nicht, was ich sonst getan hätte.

„Wird das irgendetwas für dich ändern?", fragte Nils vorsichtig.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Ich kann meine Mutter irgendwie verstehen, was nicht heißt, dass es richtig ist diese Vorurteile zu haben, aber ich glaube, dass sie echt viel durchgemacht hat."

Nils nickte nachdenklich und streichelte mir sanft über den Oberarm.

„Und dein Vater?"

„Du meinst meinen biologischen?"

„Hmm."

„Ich weiß es nicht. Er ist ganz offensichtlich ein Arschloch und wäre es nach ihm gegangen, dann hätte ich niemals gelebt. Das ist bitter, aber auf der anderen Seite bin ich auch neugierig. Ich meine, vielleicht ist es ja doch ganz nett und bereut, was er damals gemacht hat. Es ist schon so viele Jahre her und er war damals noch sehr jung. Vielleicht ist er jetzt ein richtig netter Typ, der seine Tochter kennenlernen will. Wer weiß das schon?"

Secret LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt