5 - Vom Pfeil durchbohrt

22.5K 2K 301
                                    


Im Obst schneiden war ich geübt. Schließlich mussten auch zu Hause sieben Mündern gestopft werden. Nach und nach purzelten die Furchtstücke in die überdimensionale Schüssel und warteten darauf im Gaumen eines Internatsschülers zu landen. Erst zerstückelt, dann zermalmt und zum Schluss wurden sie auch noch in Magensäure getränkt. Mir könnte das Obst fast leidtun, wenn es nicht gerade die Grundlage meines Jobs wäre und mir am Ende eine Berlin-Klassenfahrt bescheren würde. Dafür ging ich auch über Obstleichen.

Als die Schüler zum Essen erschienen, suchte ich sofort nach Nils. Wo waren seine braunen Haare die den oberen Abschluss seines athletischen Körpers bildeten? Mein Blick huschte über die unruhige Menge. Ich fand ihn nicht. Es machte mich trauriger als ich dachte. Ich schien diesen Jungen wirklich in mein Herz geschlossen zu haben und das, obwohl ich ihn eigentlich nicht kannte.

„Johanna, kannst du bitte das Brot nachfüllen?", hörte ich Marlies rufen.

Sie winkte lächelnd mit einem Baguette in der Hand.

Sofort eilte ich zu ihr, um ihr zu helfen.

Ich platzierte den Brotkorb, der immerhin vier verschiedene Sorten zu bieten hatte auf dem Buffet. Die Kinder und Teenies sahen es eher naserümpfend an und griffen größtenteils nach den Brötchen.

Und plötzlich schob sich eine Hand in mein Sichtfeld, die nach dem Kürbiskernbrot langte. Ich sah auf und blickte in dieses Blau. Wie verknallt war ich eigentlich, dass ich so sehr von einer Farbe fasziniert war, die mir seit meiner Geburt jeden Tag im Alltag begegnete. Ob es nun das Blau am Himmel, das Blau vom See oder die blauen Tintenklekse in meinem Hausaufgabenheft war: Ich hatte noch nie eine Vorliebe für Blau gehabt und nun hauten mich diese blaue Augen auf einmal komplett aus der Bahn. Und das obwohl sie mich nicht einmal ansahen. Er nahm mich nicht wahr, was entweder an seinem Bärenhunger lag oder aber an der Tatsache, dass ich ungeschminkt in meinem Ganzkörperkondom ziemlich scheiße aussah. Ich zog meine Duschhabe tiefer ins Gesicht und sah zu Boden. Ich wollte nicht, dass er mich aus irgendeiner Laune heraus doch noch erkannte. Auch wenn mir bewusst war, dass ich dieses Versteckspiel nicht ewig durchhalten würde, wollte ich für den Augenblick die Illusion waren, dass ich auch zur Elite des Landes gehörte und Schülerin an diesem Internat war.

Ich sah auf seine Finger, die die Scheibe Brot auf den Teller legten. Seine Fingernägel waren erstaunlich gepflegt, was völlig im Kontrast zu den Jungs aus meiner Klasse stand. Ich konnte weder ein Dreckkrümmelchen unter den Nägeln erkennen noch eine eingerissene Stelle. Seine Unterarme waren erstaunlich muskulös und ich vermutete, dass Sport ein fester Bestandteil seiner Freizeit war. Ich bekam allein bei dem Anblick seiner Unterarme Hitzewallungen. Was war denn bloß mit mir?

Auf seinem Teller tummelten sich ein paar Tomaten, die sich mit Gürkchen liebkosten. Die Brotscheibe und die halbe Grapefruit, die er sich gerade dazu legte, unterstrichen, dass er wohl gesund lebte. Naja, das dachte ich bis er den Behälter mit Tiramisu leerte und mir somit eine neue Aufgabe verschaffte.

Nur widerwillig verschwand ich zurück in die Küche.

„War die nicht eben noch voll?", fragte mich Marlies beim Anblick des leeren Gefäßes.

„Der letzte hat auch einen wahren Tiramisu-Raubzug vorgenommen", berichtete ich darüber, wie Nils über die italienische Süßspeise hergefallen war.

Als ich zurückkam, war er weg. Ich konnte ihn nicht mal an einen der Tische entdecken. Es waren einfach zu viele Menschen hier, sodass es mir unmöglich war ihn zwischen all den Schülern ausfindig zu machen.

Schade.

Ich konzentrierte mich wieder auf meine Arbeit.

Nachdem meine Schicht beendet war, beschloss ich nicht den Personalausgang zu nehmen, sondern das Gebäude durch die große Eingangshalle zu verlassen. In mir blühte die kleine Hoffnung auf, dass ich erneut mit Nils zusammenstoßen könnte.

Secret LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt