12 - Tochter eines Aliens

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Ich schob die Riegel, die bald abliefen nach vorne und legte die neuen nach hinten.

Mama stand an der Kasse und bediente ein paar Kunden. Sie sah heute wieder besonders schlecht aus. Die Haare waren liebl0s zu einem Zopf gebunden und ihr Pullover schlabberte an ihren ausgeleierten Körper. Es wirkte, als hätte sie sich komplett aufgegeben.

„Sag mal, weißt du, wo Magda dieses Kuscheltier herhat?", fragte mich Mama, als wir wieder ungestört im Laden waren. Sie begann mir beim Vorziehen der Waren zu helfen.

„Nein, keine Ahnung. Was ist es denn für eins?", fragte ich und versuchte unwissend zu wirken.

„So eine kleine Maus. Eigentlich ganz süß, aber die Nähte sehen aus wie von einem Anfänger." Ich schmunzelte in mich hinein. Dem prüfenden Auge meiner Mutter hatte die Maus offenbar nicht standgehalten. „Gestern Abend hatte sie die auf einmal in der Hand und es ist mir ein Rätsel, wo die herkommt."

Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Von mir hat sie die nicht", log ich überzeugend.

„Hmm, komisch. Magda war gestern auch ganz aufgewühlt. Ist bei eurem kleinen Ausflug irgendetwas passiert?"

Fassade bewahren, Johanna!

„Ein Marienchenkäfer hat sie attackiert. Vielleicht hat sie das traumatisiert."

Ich war so dankbar dafür, dass Magdas Wortschatz noch nicht ausgeprägt genug war, um von dem Scheunenerlebnis zu erzählen.

Mama warf mir einen amüsierten Blick zu und damit schien die Sache aus der Welt. Doch dann wurde ihr Blick abrupt finsterer. Sie nach draußen auf die Straße. Ich sah mich um.

Nein, bitte nicht!

Scheiße.

Ich hatte keinerlei Chance mehr zu reagieren.

Nils kam rein und er hatte mich sofort gesehen. Ich stand im Rücken von Mama und machte wilde Handbewegungen. Meine Arme fuchteln durch die Luft. Er sollte jetzt auf keinen Fall offenbaren, dass wir uns kannten. Wenn Mama herausfinden würde, dass ich mit einem Internatsschüler zusammen war, würde sie ihn wahrscheinlich so lange mit den Glas-Cola-Flaschen bewerfen bis er das Weite suchte.

Ich presste meinen Zeigefinger vor meine Lippen, damit er begriff mich nicht anzusprechen.

Nils Gesicht unterlief derweil das komplette Repertoire an Mimik. Erst freute er sich mich zu sehen. Dann sah er mich irritiert an und versuchte meine Gesten zu deuten. Es folgte ein fragender Blick und dann Resignation, vielleicht war es auch Enttäuschung. Mama war glücklicherweise damit beschäftigt seinen Kumpel zu begutachten, weshalb sie von der improvisierten Gebärdensprache hinter ihrem Rücken nichts mitbekam. Mir Nils' seine Verwirrtheit leid.

„Kann man euch helfen?", motzte Mama genervt.

Es war so peinlich.

Doch noch wusste er nicht, dass diese unfreundliche Frau, die ihn gerade ansah als würde sie ihn für einen Langfinger halten, meine Mutter war.

„Wir wollten Bier."

„Steht dort", war Mamas knappe Antwort. Dann wandte sie sich wieder an mich. „Vielleicht hat Magda auch die Maus von Hendrik bekommen. Er meinte neulich, dass er 10 Euro durch eine Wette gewonnen hat. Vielleicht hat er sie für Magda gekauft."

Im Augenwinkel sah ich, wie Nils Blick zu mir schnellte. Ich erkannte, wie die Erkenntnis in seinen Augen aufblitzte. Er hatte gecheckt, dass sie meine Mutter ist. Dementsprechend geschockt war sein Ausdruck. Seinem Gesicht zufolge könnte man auch denken, dass er erfahren hatte, dass meine Mutter ein dreiköpfiges Alien mit Hasenohren und Krokodilsschnauze war.

Secret LoveWhere stories live. Discover now