9 - Das farbenfrohe Einzelkind

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Erwartungsvoll sah Nils mich an. Ich saß in der Scheiße. Nein, ich saß nicht nur in der Scheiße, sondern in der Kanalisation. Ich saß in einem reißenden Strom aus Scheiße und sah keinen Ausweg.

„Heißt du überhaupt Johanna?"

Ich nickte, während ich es kaum schaffte ihm in die Augen zu sehen.

Immerhin auf diese Frage konnte ich mit einem reinem Gewissen antworten.

„Aber du lebst nicht in Schloss Straußburg", stellte er fest.

Ich schüttelte den Kopf.

Nils, der immer noch oberkörperfrei vor mir stand und somit nicht gerade dazu beitrug, dass ich bei klarem Verstand war, verschränkte seine Arme.

„Ich finde, du bist mir eine Erklärung schuldig. Meinst du nicht auch?"

Ich seufzte.

Ich hatte weder die Kraft, noch die Fantasie dazu mir eine Ausrede einfallen zu lassen, die er mir glauben würde. Also musste ich ihm wohl oder übel die Wahrheit sagen.

„Ich arbeite in der Küche. Ich bin sozusagen die Tellerwäscherin. Ich mach das, um mein Taschengeld ein bisschen aufzubessern", gestand ich. „Ich wohne in Henseberg und geh in Bozen zur Schule. Es tut mir leid, dass ich dich belogen habe. Beim ersten Mal bist du irgendwie davon ausgegangen, dass ich auch in Schloss Straußburg wohne und ich wollte dir nicht widersprechen. Ich dachte, dass ich als Dorfkind bei dir keine Chance hab."

Während ich ihm das erzählt hatte, war mein Blick starr auf die Fliesen unter unseren Füßen gerichtet. Ich glaubte nicht, dass ich seine enttäuschende und vielleicht auch wütende Reaktion ertragen würde. Als ich aufsah lächelte er.

„Du dachtest, ich halte dich für ein Bauerntrampel?", fragte er noch immer schmunzelnd.

Ich zuckte mit den Schultern und nickte schuldig.

„Ach, Johanna." Er zog mich in eine Umarmung. Das küsste er meine Schläfe. Ich wusste gar nicht wie mir geschah. Meine gesamter Körper verkrampfte vor Schreck. „Mir ist so egal, ob du von Schloss Straußberg oder aus Henseberg bist. Du hättest es mir auch gleich sagen können."

Nun starrte ich ihn an.

„Du bist nicht sauer?"

Er grinste.

„Doch, ein bisschen schon." So sah er aber definitiv nicht aus. „Aber irgendwie kann ich nicht lange auf dich sauer sein. Ich seh dir an der Nasenspitze an, dass du es nicht böse gemeint hast."

„Hab ich auch wirklich nicht", beteuerte ich. „Ich war einfach...naja... dumm."

Er wuschelte mir durch die Haare.

„Du bist nicht dumm."

Naja, ich hatte eine Lüge angefangen, von der ich gewusst hatte, dass sie auf absehbare Zeit auffliegen würde. Als schlau würde ich das nicht gerade bezeichnen.

„Was hältst du davon, wenn ich mich umziehe und wir verbringen den Nachmittag zusammen und dann erzählst du mir ein bisschen, was über dich? Wir können zum Bootshaus gehen. Das wollte ich dir doch eh noch zeigen."

Ich nickte völlig überrumpelt. Für gewöhnlich kam ich nicht so leicht davon, wenn ich das Blaue vom Himmel gelogen hatte. Doch Nils schien jemand zu sein, der nie lange böse sein konnte. Falls er überhaupt böse sein konnte.

„Du bist echt nett, weiß du das?"

Er lachte und fuhr sich dabei durch seine nassen Haare. Beim Lachen strahlte sein gesamtes Gesicht.

Secret LoveWhere stories live. Discover now