28 - Fremde

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„Sag einfach, dass du dir beim Sportunterricht das Knie verletzt hast oder so."

„Ich bin echt keine gute Lügnerin", gab ich zu bedenken und sah auf den Namen, der auf dem Klingelschild der Arztpraxis stand.

Dr. Christian von Epphofen.

So richtig hatte ich mich noch nicht daran gewöhnt, dass das der Name meines Vaters war.

„Soll ich mit reinkommen?"

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, das muss ich wirklich alleine hinter mich bringen."

Eigentlich würde ich mir schon wünschen, dass Nils an meiner Seite war, doch auf der anderen Seite wollte ich meinem Vater unter vier Augen begegnen. Ich war mir noch nicht sicher, ob ich ihm gleich sagen würde, dass ich seine Tochter war oder nicht. Zunächst wollte ich mir einfach nur ein Bild davon machen, was für ein Mensch er war.

„Du schaffst das schon", begann Nils mich aufzubauen. Natürlich spürte er wie nervös ich war. „Du kannst ja jederzeit gehen. Behalt das im Hinterkopf. Niemand zwingt dich das zu tun!"

„Ja, ich weiß."

Nils drückte mir einen Kuss auf die Wange.

„Ich hoffe, dass alles gut geht und ihr euch versteht", flüsterte er, während seine Hände mein Gesicht umschlossen. Er strich mir liebevoll durch die Haare.

Ich küsste ihm flüchtig auf die Lippen.

„Danke, dass du heute mitgekommen bist."

Er lächelte.
„Natürlich komme ich mit. Was denkst du denn?"

Ich atmete noch einmal tief ein und wieder aus. Dann löste ich mich schweren Herzens von Nils und ging in Richtung Arztpraxis. Es sah aus, wie ein normales Einfamilienhaus. Als ich es jedoch betrat, wirkte der Flur unpersönlich. An den Wänden hingen abstrakte Bilder und auf einer Kommode standen Plastikblumen.

Nun war ich auf mich allein gestellt. Kein Nils, der mir den Rücken stärkte.

Ich ging einen Gang entlang, der mich zum Empfang führte.

„Hallo", brachte ich mit Mühe hervor. Die Sprechstundenhilfe sah auf. „Ich würde gerne zum Doktor. Ich habe mir das Knie beim Sportunterricht verletzt", versuchte ich glaubhaft zu klingen.

Die junge Frau sah mich mitleidig an.
„Hast du denn deine Krankenkarte dabei?"

Ich nickte und schob die Chip-Karte über den Tresen.

„Bist du Neu-Patientin?", erkundigte sie sich im beiläufigen Ton.
„Ja."

Sie begann in ihrem Computer zu tippen.
„Deine Telefonnummer?"

„0178904573"

Wieder rasten ihre Finger über die Tasten. Dann reichte sie mir meine Karte.

„Gut, dann setz dich. Dr. Epphofen wird dich gleich aufrufen. Es ist heute nicht viel los. Du wirst nicht lange warten müssen."

Ich nickte dankbar und steckte meine Krankenkarte ein.

Dann schlürfte ich mit weichen Knien in das Wartezimmer, wo nur eine Oma mit einem bandagierten Arm saß.

„Hallo", sagte ich knapp und setzte mich dann auf einen der Stühle. Ich hasste die Stille. Die Lampe über mir surrte. Vor mir lag ein Stapel Zeitschriften, von denen perfekte Frauen grinsten. Daneben waren köstliche Torten und Diätvorschläge abgebildet.

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