3 - Die Nüsse der Elite

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Es würde noch zu einer echte Herausforderung werden für die Abende, an denen ich arbeitete, eine Ausrede zu finden. Für heute hatte ein Gruppenprojekt, das ich mit Wiebke und Steffi machen musste, überzeugt. Mama hatte sich nicht einmal gewundert, als ich ungeschminkt aus dem Haus gegangen war. Da es heute eh regnete, konnte immerhin nichts verschmieren. Und dass meine Haare bei der Luftfeuchtigkeit ihre ganz eigene Party feierten, würde unter der Haube auch niemanden auffallen.

Ich ging durch den Personaleingang ins Schloss. In der Umkleide, die mehr einer Abstellkammer glich, traf ich auf meine ersten Kolleginnen. Keine sah jünger als 60 aus. Ich war wohl die einzige, die noch Farbpigmente in ihren Haaren hatte und bei der sich die Stirn wieder glättete, wenn Verwunderung der Erleuchtung wich.

„Du bist Johanna, oder?", sprach mich die Schmächtigste der Omas an.

„Ja. Ich habe heute meinen ersten Arbeitstag."

Sie lächelte und stopfte ihre Dauerwelle unter die Haube.

„Ja, das hat Ralf uns gesagt. Freut mich dich im Team zu haben. Alle Kollegen sind hier sehr nett. Das wirst du schnell merken. Dadurch macht die Arbeit auch Spaß. Ich bin übrigens Marlies."

Sie streckte mir ihre Hand aus. Ich nahm sie an und schüttelte sie höflich.

„Endlich bekommen wir mal ein bisschen junges Blut ins Team", stimmte eine zweite zu und stellte sich als Bärbel vor.

Als ich meinem Ganzkörperkondom steckte, führten mich Bärbel und Marlies in die Küche. Meine erste Aufgabe war es Besteck bereitzustellen. Gabel, Messer und Löffel konnte ich gerade noch so auseinanderhalten und so machte mir diese Aufgabe auch keine großen Probleme. Dann wurden die Behälter mit dem Essen in die Vitrinen gestellt. Auch hierbei fühlte ich mich noch nicht überfordert und das Beste war, dass jede einzelne Minute mir Geld brachte. 14,16 Cent um genau zu sein. Es war ein verdammt gutes Gefühl Geld zu verdienen.

Dann wurden die Türen geöffnete und die Internatsschüler kamen herein. Zum Abendessen mussten sie nicht mehr in Uniformen erscheinen, aber ihre Sachen sahen trotzdem nicht wie die aus, die ich im Alltag trug. Bei ihnen fand man keinen losen Fäden, die an den Nähten herausstanden. Keine fusseligen Stellen, weil die Tasche dort immer rieb und auch nach einer Knitterfalte suchte ich vergeblich. Ich hatte das Gefühl, dass diese Menschen hübscher aussahen, als die Dorftrottel an meiner Schule. Keines der Mädchen hatte es mit dem Schminken übertrieben. Während die Mädchen aus meiner Klasse oft weder echte Augenbrauen noch echte Wimpern hatten, waren die Mädels hier auf eine sehr dezente Art und Weise schön.

Meine Aufgabe war es nun Essen nachzufüllen, wenn etwas leer war.

Auf einmal bekam ich dieses Aschenputtelgefühl. Ich war genauso ein Mensch wie sie es waren, aber ich fühlte mich, als wäre ich weniger Wert. Allein die Obsttheke war ein Traum. Mango, Physalis, Passionsfrüchte und Ananas waren frisch aufgeschnitten. Ich aß das ganze Jahr über Äpfel oder Bananen und ansonsten das Obst, welches gerade in unserem Garten reif war. Neben Reis gab es hier auch Couscous und Ebli zur Auswahl. Letzteres hatte ich noch nie gegessen. Bei mir zu Hause gab es Brot zum Abendbrot. Hier bekamen sie ein ganzes Festmahl angeliefert. Auch wenn Mama immer sagte, dass ich nicht neidisch auf die Leute von Schloss Straußburg sein sollte, erwischte ich mich gerade doch dabei.

Ich sah in die Gesichter der Kinder. Sie wussten das alles hier gar nicht zu schätzen.

„Heute gar keine Melone", hörte ich Mädchen jammern.

„Himbeeren gibt es auch nicht", stimmte ihr eine Freundin zu.

Ich schüttelte ungläubig den Kopf und widmete mich der leeren Käseplatte und trug sie nach hinten, um eine neue zu holen.

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