~ 2 ~

21.3K 1.2K 84
                                    

Ich fahre mit einem leisen Schrei aus dem unruhigen, leichten Schlaf der mich übermannt hat, nachdem wir meine Schwester zugedeckt hatten.

Ich schaue mich suchend um, das Feuer ist verglimmt, die Wärme ist nun kaum noch spürbar. Ich schaue zum Fenster, ich erkenne dass im Moment der Übergang von Nacht zu Tag ist. Die magischen Minuten, in denen ein neuer Tag beginnt. Ein neuer Tag voller Tod, Verzweiflung und Tränen.

Es wird schwer werden ohne das sonnige Gemüt Evas. Ohne ihren beruhigenden Worte, ohne ihre sanfte Stimme, die mich tadelte, wenn ich wieder etwas rücksichtsloses tat oder zu verschwenderisch war.

Ich stehe langsam auf, gerädert, taub. Das Leben geht weiter, es muss weitergehen. Ich kann nicht einfach aufhören, meine Mutter kann nicht komplett alleine überleben.

Ich beiße mir auf die Lippe. Die Unsicherheit überrollt mich wie eine riesige Welle, ich weiß dass ich mir keine Fehler erlauben darf, hier geht es ums Überleben. Langsam gehe ich raus, ich sehe dass ein totes Huhn vor unserer Tür liegt. Mats' Vater hat es uns gebracht. Ich nehme es und lege es vor unsere Feuerstelle damit Mutter später Essen machen kann.

Wir haben noch genug Holz, weswegen ich nicht in den Wald muss. Ich beschließe, nach unserem Feld zu schauen. Ich muss etwas arbeiten, wenn ich jetzt nur herumsitze, werde ich nie über ihren Tod hinwegkommen.

Gefühle sind nur Belastungen, bemerke ich bitter und wütend. Doch sie sind auch das, was Menschen menschlich macht. Ohne Gefühle wären wir nichts mehr als tote Wesen.

Ich seufze und schaue zum Himmel, der nun in ein sanftes Rosa getaucht ist, leichte Wolken bedecken ihn. Vielleicht regnet es bald, dann können wir endlich unsere Felder nutzen und Getreide anbauen. Ein Keim Hoffnung blüht in mir auf, vielleicht wird alles besser.

Als ich wieder nach Hause komme, ist meine Mutter fertig. Endlich gibt es wieder Fleisch, und da wir nur noch zu zweit sind, bleibt mehr übrig.

Der erste Bissen ist ein Traum. Ich schließe vor Verzückung die Augen, für einen Moment alle Sorgen vergessend und den Geschmack des warmen Hühnchens genießend. Auch meine Mutter gönnt sich ein Stück, doch ich kann das schlechte Gewissen in ihrem Gesicht ablesen. Ich denke an Eva, sie hätte mich jetzt gescholten, ich dürfe nicht so schlingen. Sofort esse ich langsamer, Eva hätte recht, ich bekomme nur Bauchschmerzen wenn ich so schnell esse.

Als der Schenkel weg ist, bin ich zwar noch lange nicht satt, doch das muss reichen. Ich bin schon lange vertraut mit dem Hungergefühl, auch dass wir schwächer sind und kaum noch Kraft haben, unsere täglichen Arbeiten zu verrichten.

"Ich gehe zum Fluss und hole etwas Wasser" teile ich meiner Mutter mit und stehe auf. Ich hole unseren großen Holzeimer und laufe los. Zum Fluss ist es ungefähr eine halbe Stunde Fußmarsch durch den Wald, doch das Wasser ist sauber und klar und perfekt zum Kochen und Waschen geeignet. Ich war seit Tagen nicht mehr hier, das liegt zum einen daran, dass ich keine Zeit hatte, aber zum anderen an meiner Befürchtung, dass der Fluss komplett ausgetrocknet ist.

Welche sich aber nicht bewahrheitet. Das Wasser plätschert munter und klar wie am ersten Tag durch die Rinne und ich seufze erleichtert auf.

Wasser

Ich stelle den Eimer ab und ziehe meine Kleidung aus um danach in das klare, kühle Nass zu steigen. Das Wasser reicht mir an der tiefsten Stelle bis zur Hüfte und ich beiße die Zähne zusammen, als die Kälte mich umfließt.

Dann tauche ich unter, meine Haare nass machend. Prustend tauche ich wieder auf, es ist doch kälter als ich dachte und ich beginne zitternd mich zu waschen. Ich beeile mich, da ich nicht lange meinen abgemagerten Körper sehen will. Die Rippen sind sichtbar und meine dunkelbraunen Haare sind stumpf. Ich hasse es, doch ich kann nichts daran ändern, wie so oft.

Ich klettere wieder aus dem Wasser, meine Kleidung anziehend und fülle den Eimer. Ich sollte mich beeilen, meine Mutter wird schon auf mich warten.

~

"Hier" ich stelle ihr den Eimer hin und sie nickt

"Kannst du schnell bei Mats vorbeischauen, sein Vater meinte vorher zu mir er bräuchte kühles Wasser." teilt sie mir mit und ich nicke, den Eimer wieder hochnehmend. Dann eile ich zu Mats Hütte, mein Herz klopft. Was meine Mutter gesagt hat, klang nicht gut.

Ich klopfe an die große Holztür und sein Vater öffnet mir sofort. Ich erkenne die Angst und Panik in seinen Augen. Meine Mutter hatte den selben Blick in ihren Augen, als Eva starb. Ich schlucke.

Bitte nicht

Mats' Vater bedeutet mir, hinein zu kommen und ich eile zu Mats' Bett. Er liegt schwer atmend und keuchend da, seine Augen geschlossen und blasser den je.

"Mats" flüstere ich leise, ich kann es nicht fassen, dass mir auch noch mein bester Freund genommen werden soll. Er öffnet langsam die so vertraut blauen Augen und kämpft um ein Lächeln. Er öffnet den Mund um etwas zu sagen, doch stattdessen hustet er erstickt, und Blut läuft ihm aus dem Mund. Ich greife nach einer Schüssel, als auf einmal von draußen Geschrei und Hufeklappern ertönt.

Mats und ich zucken zusammen, ich werfe ihm einen fragenden Blick zu und er bedeutet mir mit einer Kopfbewegung, draußen nachzusehen. Ich zögere, doch er schüttelt den Kopf.

Typisch Mats

Ich renne raus, um genau in dem Moment, als ich aus der Tür trete, von einem Ritter angegriffen zu werden. Ich keuche überrascht auf, seinem Schwert ausweichend, als es mir dämmert.

Sie plündern das Dorf.

Ich renne weiter, den Ritter hinter mir lassend. Ich muss zu meiner Mutter.

Ich stürze in unser Haus, meine Mutter wird von zwei Rittern in die Ecke gedrängt, während ein dritter unsere wenigen Vorräte plündert. Ich sehe rot vor Wut.

Nach meinem rostigen Eisenschwert greifend rufe ich,:"Ihr Bastarde! Lasst Mutter in Ruhe" Sie starren mich an, einer grinst hämisch.

"Was sagtest du?" fragt er spöttisch. Seine Stimme macht mich nur noch wütender und ich stürze mit Gebrüll auf ihn. Dummer Fehler, er ist durch eine Rüstung geschützt, er hat ein viel besseres Schwert und ist natürlich auch besser Trainiert als ich.

Er weicht meiner leichtsinnigen Attacke aus und lacht. Ich wirbele herum, mit dem Schwert einen Bogen beschreibend, um ihn im Gesicht zu erwischen, doch er wehrt den Schlag ab. Ich will mich gerade wieder auf ihn stürzen, als mich von hinten jemand packt.

Ich habe die anderen beiden total vergessen. Panik steigt in mir hoch, doch wenigstens ist meine Mutter jetzt sicher.

"Bringt ihn raus" befiehlt der dritte den anderen beiden, die mich festhalten und ich zappele in ihrem Griff. Leider erfolglos.

Ich werde vor unserem Haus in den Dreck geworfen, und eine eisige Hand packt mich am Nacken. Ich trete mit meinem Bein blind nach hinten, doch natürlich treffe ich ihn nicht, sondern verletze mich nur selber an seiner schweren Rüstung.

Der dritte Ritter lacht kalt und schüttelt den Kopf über meine Sturheit.

"Du wirst es gleich bereuen, mich so angegriffen zu haben, wobei ich es schade finde, einen so hübsches Leben zu beenden" murmelt er kalt, und ich weiß, dass ich es mit meinem Leben bezahlen werde.

Ich sehe wie er sein Schwert hebt, ich schaue mich im Dorf um, überall rennen Menschen um ihr Leben, Angstschreie sind zu hören und das manische Gelächter einiger Ritter.

Tut mir leid, dass ich euch nicht beschützen konnte

Ich höre wie meine Mutter nach mir schreit, doch auch sie wird zurückgehalten. Dann lässt der Ritter sein Schwert herab sausen, genau in dem Moment als eine Figur in ihn hineintaumelt.

Mats

Doch er kann den Schlag nicht abwehren, nur ablenken, und er trifft mich quer über meinem Oberkörper. Sofort fließt das Blut ungehindert aus der tiefen Wunde. Ich schreie, was jedoch bald zu einem schwachen Gurgeln wird, als das Blut aus meinem Mund spritzt.

Ich werde losgelassen und falle in den Dreck, immer noch Blut verlierend. Ich bekomme nichts mehr mit, Stimmen verstummen, Licht wird dunkler, und der Schmerz verlischt zu einer kleinen Flamme.

Dann umhüllt mich eisige Schwärze.

Numb (Boy x Boy)Where stories live. Discover now