Teil 4

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Teil 4

Ever

Die Ärztin hatte ihr rotes Haar zu einem strengen Dutt gebunden. Sie hatte haufenweise Sommersprossen auf der Nase und an den Armen. Ihre Gestalt wirkte hager. Mit den lagen dünnen Beinen sah sie aus wie ein Flamingo. Ihr Gesichtsausdruck war neutral, als sie sich auf den Stuhl gegenüber von uns setzte. Sie blätterte die Zettel in ihrem Klemmbrett durch. Nervös wibbte ich mit dem Fuß auf und ab, während Lorena, die neben mir saß nicht aufhören konnte sich durch die schwarzen Haare zu fahren. Nando taumelte mit den Beinen und starrte auf seine Schuhe. Das erste mal hatte ich den Eindruck, dass er nicht glücklich ist. Er wirkte in sich zurück gekehrt und viel stiller als sonst. Ich fragte mich an was er dachte. Wusste er, dass er sterben wird?

„Chemotherapeutisch was zu bewirken ist im Grunde nur noch palliativer Art. Es dient der Linderung der Schmerzen und nicht mehr der Heilung. Je früher wir damit anfangen desto geringer werden die schmerzen sein, jedoch lassen sie sich nicht vermeiden."

Ich sah, wie Damian den großen Kloß in seinem Hals herunter schluckte. Diego hielt die Hand von seinem jüngsten Sohn und sah zur Ärztin.

„Sie lange wird es noch dauern bis es anfängt?" fragte er. Obwohl er es nicht aussprach wussten wir alle von was er sprach. Die Schmerzen. Die Ärztin schien weiterhin keinerlei Mitgefühl oder sonstiges zu haben. Sie begann wieder zu blättern. Das rascheln des Papiers machte mich nervös. Lorenzo, der neben mir saß sah warnenden auf meinen wippenden Fuß. Ich hörte damit auf und ballte die Hände zu Fäusten.

„Ich weiß es nicht genau. Wir müssen anfangen mehr Wasser aus dem Bauchraum zu pumpen. Die Metastasen in seinem Bauch verbreiten sich immer schneller. Es ist nur noch eine Frage der Zeit."

Das Ticken der Uhr nahm den ganzen Raum ein. Die Wände wirkten grauer als ohnehin schon und allmählich bekam ich von dem Licht Kopfweh. Damian starrte auf den Boden, während Lorenzo auf seine gefalteten Hände blickte. Diego runzelte die Stirn und drückte die Hand von Nando fester. Er taumelte weiterhin mit seinen Füßen. Lorena kämpfte sichtlich gegen die Tränen und konzentrierte sich auf ihre Atmung, in dem sie die Augen schloss und bei jeder dritten Sekunde ein atmete und nach genau drei Sekunden ausatmete. Die Ärztin sah mit einer hochgezogenen Augenbraue zu Diego.

„Ever könntest du bitte mit Nando rausgehen?" fragte er mich daraufhin und wandte sich zu mir. Stumm nickte ich und erhob mich vom Stuhl. Ich führte Nando bei der Hand aus dem Zimmer und schloss leise die Tür hinter mir. Sicherlich wurde etwas besprochen, das nicht für Nando's Ohren bestimmt war. Er schlenderte zu dem Stuhl und ließ sich seufzend nieder. Ich folgte ihm und ging vor ihm in die Hocke. Seine Mundwinkel waren nach unten gezogen wie bei einem traurigen Clown.

„Hey was ziehst du denn so ein trauriges Gesicht?" fragte ich ihn und stupste ihn mit meinem Ellenbogen an. Seine großen Augen blickten schüchtern in meine. Ich lächelte leicht und strich ihm seine schwarzen locken aus dem Gesicht. An uns lief gerade eine Krankenschwester vorbei, die einen älteren Mann im Rollstuhl schob. Ich hasste Krankenhäuser. Den Geruch. Die Atmosphäre. Das Licht. Die Dinge die hier geschahen.

„Ich mag es hier nicht." murmelte Nando und sprach mir damit direkt aus dem Herzen. Ich spürte wie auch meine Miene immer trauriger wurde. Seine blasse haut wurde von Tag zu Tag heller. Die Haare verloren an Glanz, genauso wie seine Augen es taten. In den letzten Tagen hatten Nando, Damian, Lorenzo und ich viel Zeit in der Küche verbracht. Hauptsächlich hatten wir gebackt, Filme angesehen oder in einen seiner Malbücher gemalt. Lorenzo las ihm jeden Abend das gleiche Buch vor. Von Lorena erfuhr ich, dass er das schon seit Jahren tat. Die Stimmung im Haus veränderte sich von Tag zu Tag immer mehr. Es wird stiller und die Zeit vergeht schneller. Stunden werden zu Sekunden und Tag plötzlich zu Minuten.

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