Eingeständnis

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Ein·ge·ständ·nis
    Substantiv, Neutrum [das]
        1.  Schulden*das Zugeben eines Fehlers, einer Schuld o. Ä.


Kyungsoo hatte sich angewöhnt beinahe täglich bei Jongin vorbeizuschauen. Er hatte den kraftlosen Gute-Besserungs-Ballons mithilfe einer Nähnadel den Rest gegeben und sie durch Neue ersetzt, hatte Blumen für Jongins Nachttisch besorgt und immer wieder Leckereien aus der Restaurantküche für sie beide mitgebracht.
Gerade saß er im Schneidersitz auf Jongins Bett und erledigte seine Hausaufgaben, weil es manchmal einfach schon reichte, bloß anwesend zu sein; einfach nur für Jongin da zu sein, sodass er sich nicht alleingelassen fühlte.

Gerade aber schien der Ältere doch lieber reden zu wollen. »Was mache ich nur, wenn ich die Schmerztabletten nicht mehr kriege?«, fragte er mit einem Blick auf die leere Tablettendose neben ihm. Tatsächlich würde Jongin bald aus dem Krankenhaus entlassen und ins Pyeong-an Center verlegt werden und dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er die hochdosierten Morphintabletten nicht mehr benötigte und seine Ärzte ihn auf schwächere Schmerzmittel umstellen würden. Bis jetzt hatte er aufgrund dessen noch keine der körperlichen Symptome seines Entzugs aushalten müssen; ein Luxus, der Jongin dann verwehrt blieb.

»Die Frage ist eher, was mache ich mit deinem undankbaren Arsch, wenn du dann unausstehlich wirst?«, stellte Kyungsoo die halb sarkastische Gegenfrage und schmunzelte, stupste Jongins Nase mit seinem Stift an.

Jongin schmunzelte ebenfalls leicht vor sich hin, dann schlang er die Arme um Kyungsoos Mitte und lehnte sich seitlich an ihn, den Kopf auf seiner Schulter gebettet. »Ich werde dir so auf den Sack gehen.« Er klang nörglerisch und Kyungsoo musste lachen. Der Kleinere hob eine Hand und fuhr Jongin damit wiederholt durchs Haar. Sein Ansatz war bereits weit genug herausgewachsen, dass er auf eine Entscheidung drängte, wenn man kleinlich war. Aber Kyungsoo war nicht kleinlich (nicht mal halb so kleinlich wie Jongin) und deshalb störte es ihn auch nicht.

Er grinste vor sich hin und seine Augen starrten ins Nichts als er den Mund öffnete um zu sprechen. »Zum Glück habe ich schon eine Menge Übung darin, damit zurechtzukommen.«
Jongin gluckste und kniff ihn, ob der frechen Anmerkung in den Bauch, dann wurde er still und schien in sich gekehrt.
Kyungsoo studierte für einen Moment sein Gesicht. »Na sag schon, was hast du wirklich auf dem Herzen?« Er hatte in der letzten Zeit gelernt, Jongin zu lesen und gerade las er sich traurig und hilfsbedürftig.

Für einen Augenblick kaute er auf seiner Unterlippe herum, bevor der Brünette ihm eine Antwort auf die Frage, die selbstverständlich genau ins Schwarze getroffen hatte, gab. »Ich habe wirklich Angst, dass mich die Geister meiner Vergangenheit verfolgen werden.«
Dramatisch formuliert, doch nicht unbegründet. Jongin würde sicherlich nicht nur einmal schweißgebadet aufwachen, oder ganze Nächte durchmachen, weil er einfach keine Ruhe fand; sein Kopf ihm keine Ruhe lassen würde.

»Welche Geister genau?«, fragte Kyungsoo nach, ernst aber ohne ihn zu verunsichern. Noch immer strich er ihm beruhigend durchs Haar.
»Baekhyun.« Das hatte Kyungsoo sich bereits gedacht. Letztlich lief es immer wieder auf Baekhyun hinaus, den Jungen, dem Jongin am meisten wehgetan hatte.

Er ließ ihm Zeit, die richtigen Worte zu finden und hörte aufmerksam zu, als Jongin endlich weitersprach. »An dem Tag des Unfalls...Luhan erzählte mir etwas.« Er machte eine ehrfürchtige Pause und seine Stimme klang brüchig, als er weitersprach. »Etwas Schlimmes.«
Kyungsoos Stirn legte sich in Falten. Wenn er so herumdruckste, musste er sich wirklich schämen. »Was denn?« Er sprach sanft. Wagte sich langsam an Jongin heran, wie an ein schreckhaftes Tier.

Eine einzelne Träne floss Jongins Wange herab, als er aussprechen musste, was er noch immer nicht wirklich wahrhaben wollte. »Baekhyun hat versucht sich das Leben zu nehmen. Meinetwegen.« Jongin hielt die Luft an; erwartete, dass Kyungsoo ihn von sich stoßen und aufspringen würde, angewidert von seiner Person. Doch nichts davon passierte.

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