II

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Der Grieche
Scheinbar lautete die Antwort ja, denn im nächsten Moment hörte er ein markerschütterndes Gebrüll von irgendwo hinter ihm.
Ruckartig drehte er sich um, und sah gerade noch, wie das Tor, aus welchem er herausgetreten war, geschlossen wurde, und daneben eines geöffnet.
Sein erster Instinkt war die Flucht. Alexandros hatte sich schon vielen Feinden gegenüberstehen sehen, doch waren diese Feinde immer bewaffnet, berechenbar und weniger... Tier gewesen. Er wusste nicht, wie man richtig gegen einen Löwen kämpfte, allerdings wusste er wohl, dass sein Überlebensinstinkt das einzige war, was ihn jetzt noch retten konnte. Das, und vielleicht sein Stolz. Denn er sah absolut nicht ein, in einer Arena der Römer getötet zu werden, als wäre er ein armseliger Kriegsgefangener. Gefangener war er vielleicht, aber nicht armselig. Er war Gefangener aber ebenso ein Prinz, und Prinzen hatten Stolz.
Also ergriff er nicht die Flucht. Er lockerte seinen Stand, bereit, zur Seite zu springen, sobald der Löwe auf ihn zukam. Von hinter dem Tor hörte er einen Peitschenhieb, ein Brüllen und dann sprang die Bestie aus der Dunkelheit. Sie war ebenso geblendet wie er es gewesen war, als man ihn in die Arena gestoßen hatte. Und diese Erkenntnis traf ihn härter als erwartet. So sehr unterschieden sein Feind und er sich nicht. Sie waren beide nur die Marionetten einer brutalen Gesellschaft.
Doch der Moment des Zögerns verflog schnell. Der Löwe witterte das Öl, den Schweiß, das Fleisch - er witterte Alexandros. Und schon stürzte er in seine Richtung. Mit einem Hechtsprung nach rechts brachte der Mann sich aus der Reichweite der Pranken, rollte durch den Sand und sprang wieder auf. Sand rieselte von seinem Körper, doch er hatte keine Zeit, sich darüber aufzuregen.
Der Löwe griff wieder an, und erneut sprang er. Nach links. Ein letztes Mal vollführte er das Manöver noch, doch dann wusste er, dass er sich etwas anderes überlegen musste. Der massige Körper des Tiers bewegte sich auf ihn zu und ihm blieb nicht viel anderes übrig, als mit dem Schwert auszuholen.
Er täuschte links an, doch zog das Schwert im bruchteil einer Sekunde nach rechts, und schnitt dem Löwen quer über die Schnauze. Das Tier brüllte vor Schmerz, als die Haut unter dem goldenen Fell aufgerissen wurde und Blut über seine Nase quoll, doch hatte es schon zu viel Schwung und stieß Alexandros zu Boden. Durch den Aufprall mit dem Rücken auf den heißen Sand, wich jegliche Luft aus seiner Lunge, und er japste nach Atem. Er lag nun unter dem brüllenden Tier; vor seinem inneren Auge drehte sich alles.
Seit er den Kampf begonnen hatte, hatte er die grölende Menge ausgeblendet. Er hatte ihre Rufe nicht gehört, nicht verstanden. Für ihn zählte nur der Kampf. Doch nun vernahm er ihre Stimmen, die begeistert, empört oder ungläubig schrien und pfiffen.
Er rollte zur Seite, rappelte sich auf und stellte sich dem Löwen erneut entgegen. Doch durch seine Aktion hatte er die Bestie nur gereizt. Sie stürmte erneut auf ihn zu, und dieses Mal machte er nur einen Schritt zur Seite, wollte dem Tier das Schwert in die Seite rammen, verfehlte es jedoch und traf stattdessen nur die Flanke. Erneut brüllte der Löwe.
"Götter, verzeiht mir.", presste er hervor. Er wollte das Tier nicht quälen, es konnte schließlich auch nichts dafür, dass es ihn töten sollte.
Seine Arme schmerzten und in seinem Kopf drehte sich noch immer alles. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen und seinen Atem, der gleichmäßig aber viel zu schnell ging. Er wich ein paar Schritte nach hinten, doch stolperte er über etwas, was hinter ihm im Sand lag. Er fiel erneut zu Boden, und im nächsten Moment sprang der Löwe wieder auf ihn zu, bereit, ihm den tödlichen Hieb zu versetzen.
Doch Alexandros war nicht bereit zu sterben. Er drehte sich zur Seite, sodass seine linke Seite, die Seite mit dem Herzen, geschützter war. Dann griff er das Schwert mit der rechten Hand fester und als das Tier in Reichweite war, riss er den Arm hoch und schlitzte ihm den Bauch auf. Die Pranken der Bestie streiften seine Brust und seinen Arm, doch er schrie nicht auf. Er ließ das Schwert los, und es blieb im Bauch des Tieres stecken. Es landete etwas hinter ihm, und blieb liegen. Zwar hob er noch einmal den Kopf, doch dann ließ der König der Tiere ihn für immer sinken.
"Verzeih mir, Artemis.", murmelte er. "Möge seine Seele in denen ewigen Jagdgründen Ruhe finden.", dann erhob er sich auf wackelige Beine, um dem Publikum zu zeigen, dass er diesen Kampf gewonnen hatte.
Doch die Römer auf den Zuschauerrängen jubelten nicht für ihn. Für einen Moment war es still, dann wurden die Rufe laut. Als erstes flog ein Stein, dann ein Brot, eine Sandale und noch ein Stein. Verwirrt sah Alexandros sich um. Warum schmissen diese vermaledeiten Römer mit Sachen nach ihm? Er hatte doch gewonnen!
Er hörte wie einige Zuschauer in den Rängen "Graecus!", brüllten, doch machte er sich mehr Sorgen darum, diese Arena lebend zu verlassen als darum, dass er beleidigt wurde.
Bebend vor Wut, verwirrt und voller gekränktem Stolz sah Alexandros durch die Ränge und sein Blick blieb für einen Moment an einem Mann hängen, der anders als die übrigen Zuschauer, ihn nicht voller Hass ansah. Er wirkte besorgt, auf eine seltsame Art und Weise. Aus dem Augenwinkel sah er einen Stein auf sich zufliegen und duckte sich darunter weg, wodurch der Augenkontakt abbrach.
Als er wieder hinauf sah, sah er, wie der Mann sich an den Legionär hinter ihm wandte und ihm etwas sagte. Er konnte sich nicht vorstellen, was dieser Mann - er wusste auch nicht, welchen Titel er trug - gesagt haben sollte. Doch konnte er nicht weiter darüber nachdenken, da er in diesem Moment am ohnehin schon verletzten Arm von einem harten Gegenstand getroffen wurde. Er verkrampfte vor Schmerz und wenn er den Schmerz bis gerade noch ignoriert hatte, dann war es ihm jetzt nicht mehr möglich. Es war, als würden pulsierende Wellen der Erkenntnis über ihn hinweg rollen. Er brauchte Wasser, Schatten und jemand musste seine Wunden reinigen. Dringend. Anders würde er es nicht überleben.
Orientierungslos stolperte er durch den Sand; immer mehr Sachen trafen ihn, bis schließlich ein Stein in seinem Rücken ihn zum Fallen brachte. Schwer atmend blieb er im Sand liegen, wohlwissend, dass ein einzelner, gut geworfener Stein, seinem Leben ein Ende bereiten könnte. Doch er konnte sich nicht mehr wehren. Die Sonne prallte unablässig auf seinen geölten und mit Sand verdreckten Rücken und gedanklich hatte er schon abgeschlossen.
Doch da wurde er auf einmal am unverletzten Arm ergriffen, auf die Füße gezogen und wieder in den Löwengang gezerrt. Er konnte nicht sehen, seine Augen tränten vor Schmerz und es drehte sich noch immer alles.
"Gebt ihm Wasser.", hörte er auf einmal eine ruhige Stimme sagen. "Wenn er wieder gerade stehen kann, dann bringt ihn zu mir. Und wehe euch, er hat einen Kratzer mehr. Dann seid ihr die nächste, die in der Arena einem Löwen gegenüberstehen."
Dann verlor er das Bewusstsein.

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