Frühstück mit der Königin

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13. Frühstück mit der Königin

(...)

Ich bin der Elemente Tochter:

Im Winter getragen,

Vom Frühling geboren,

Erzogen vom Sommer;

Der Herbst legt mich zur Ruh.

Ich bin ein Geschenk für Liebende

Und eine Hochzeitskrone.

Ich bin die letzte Gabe der Lebenden an die Toten.

(...)

Khalil Gibran: Das Lied der Blume

*

Indigo wurde von einem sanften Klopfen geweckt. Blinzelnd richtete sie sich auf. „Wer ... ist da?"

„Parl. Die Königin erwartet dich zum Frühstück", klang seine gedämpfte Stimme durch die Tür. „Auf dem Tisch liegt eine Verbindungskugel. Wenn du bereit bist, berühre sie und ich komme dich abholen."

„Ja ... in Ordnung. Danke."

Seine Schritte entfernten sich und Indigo ließ sich mit einem Ächzen zurück in die Kissen fallen. Sie hatte das Gefühl, nicht mehr als zwei Stunden geschlafen zu haben. Der Elefant, der letzte Nacht noch auf ihren Schultern balanciert hatte, schien es sich nun in ihrem Kopf gemütlich gemacht zu haben und ihren pochenden Schläfen nach drehte er fröhlich Pirouetten. Mit schweren Lidern ließ sie ihren Blick durch das Zimmer wandern, das sie gestern im Halbdunkel bezogen hatte. Die Vorhänge waren immer noch zugezogen, doch im Dämmerlicht erkannte sie außer ihrem ausladenden Himmelbett einen schmalen Schreibtisch vor der Fensterfront, einen Schrank, einige Regale samt Lesesessel und etwas, das wie ein altmodischer Waschtisch aussah. Wenn sie nicht alles täuschte, lag auf dem Hocker davor ein Stapel frischer Kleidung für sie bereit.

Kurz versuchte Indigo abzuschätzen, wie groß ihre Schwierigkeiten wohl werden konnten, wenn sie eine königliche Einladung zum Frühstück ausschlug. Dann fügte sie sich ihrem Schicksal und schob mit einem gedämpften Stöhnen die Bettdecke zurück. Mit halb geschlossenen Augen tappte sie durch den Raum und schälte sich dabei das ausgeleierte T-Shirt vom Leib, das sie seit vierundzwanzig Stunden getragen hatte. Sie hätte Einiges für eine heiße Dusche gegeben, doch nach einem zehnminütigen Kampf mit der Waschschüssel war sie vielleicht nicht sauber, aber zumindest durchnässt und während sie sich fröstelnd trockenrieb, erwachten nach und nach ihre Lebensgeister.

Schließlich war sie so weit wiederhergestellt, dass sie sich ihre frische Wäsche näher ansehen konnte. Zu ihrer großen Erleichterung schien niemand ernsthaft von ihr zu erwarten, dass sie ein Kleid trug. Die weiche Lederhose und das weite, dunkle Hemd erinnerten an ihre gewöhnliche Garderobe und als sie auch noch feststellte, dass man ihr ihre eigene Unterwäsche dagelassen hatte, besserte das ihre Laune enorm. Hastig schlüpfte Indigo in die frischen Sachen, deutete einen kurzen Versuch an, ihr Haar zu ordnen und sah sich dann nach der Verbindungskugel um, die Parl erwähnt hatte. Auf dem Schreibtisch wurde sie fündig. Ein wenig misstrauisch berührte sie die schimmernde Oberfläche und zuckte rasch wieder zurück, als ein warmes Kribbeln durch ihre Fingerspitzen strömte. Indigo war nicht sicher, ob das gereicht hatte, um einen Ruf loszuschicken, doch kaum eine Minute später klopfte es erneut an der Tür.

„Ja?"

Diesmal trat Parl ein. Er sah unendlich viel erholter aus, als sie sich fühlte. Die letzte Nacht schien nicht die geringste Spur an ihm hinterlassen zu haben, seine Augen glitten hellwach über ihre Erscheinung und gingen ganz in dem offenen Lächeln auf, das er ihr schenkte. „Hast du gut geschlafen?"

INDIGO EYES - Im Zeichen der ErdeWhere stories live. Discover now