no. 3

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>you're a little much for me. You're a liability. You're a little much for me.<

Lorde - liability

×××

Das Ding an ihrer Haut war, dass sie selbst nicht genau wusste, ob ihre Haut nun hellbraun war und die Flecken weiß, oder ihre Haut nun weiß war oder die vielen Flecken hellbraun. So genau kannte sie sich damit nicht aus.

Sie lebte in dem Glauben, sehr blasse Haut zu haben, da sie den Kontrast zu ihren dunklen Locken sehr mochte. Allerdings war die Wahrheit, dass die ihrer Ansicht nach braunen Flecken ihre eigentliche Hautfarbe veranschaulichten. Eine braune Hautfarbe mit weißen, pigmentlosen Flecken.

Die genaue Ursache ihrer Krankheit war ihr ebenfalls nicht bewusst. Sie glaubte, je weniger sie sich mit ihrer Pigmentstörung auseinander setzte, desto besser würde sie damit leben können. Eher gesagt redete sie sich diesen Unsinn ein. Sie war tief drinnen wissensgierig, wollte erfahren, wieso, weshalb und warum sie aussah, wie sie eben aussah.

Wieso sich unter dem vielen, dicken, lockigen Deckhaar ihres Kopfes eine einzelne weiße Strähne versteckte, der jegliches Pigment fehlte.
Sie weinte früher oft wegen dieser einen Strähne, die wie ein Außenseiter an ihrem Kopf aussah. Wollte sie gefärbt haben, noch als sie klein war. So lang, bis sie erkannte, dass es eine Möglichkeit gab diese eine Strähne, die sie als hässlich empfand, zu verstecken.
Und so hielt sie das weiße Geschöpf unter all der dunklen Matte versteckt.

Nun, bis zu diesem Tag.

Sie langweilte sich auf dieser einsamen Bank der Bushaltestelle. Seit der Kerl in dem Haus verschwunden war, waren Stunden vergangen, glaubte sie, dabei waren es bloß dreißig Minuten. Die Luft kühlte sich ab und die weißen Flecken (sie sah ihre Haut nach und nach nur noch als ein fleckiges etwas an; verglich sich mit einem gepunkteten Dalmatiner) hatten eine leichte Röte angenommen. Sie waren lichtempfindlich augrund der fehlenden Pigmentierung.

Ihre Finger spielten an den Fransen ihres kaputten Rucksacks und sie spielte mit dem Gedanken, ihre letzte Zigarette genau jetzt zu rauchen. Am Ende entschied sie sich doch dagegen. Sie wollte sich diese Zigarette für einen besonderen Augenblick aufbewahren. Für einen Moment, in dem sie sich etwas gerettet vorkommen würde. Dieser Moment musste noch warten, den aktuell fühlte sie sich wie ein Schiff, das mächtigen Wellen hilflos ausgesetzt war. Sie fühlte sich einfach machtlos. Als könnte sie niemals gegen die Wellen ankommen, die immer wieder auf sie einschlugen und durcheinander brachten.

Wie auch immer, dachte sie sich, ich kann überleben und ein neues Zuhause finden. Für heute Nacht muss diese Bank erstmal reichen. Es wird ja nicht kalt. Es wird angenehm sein. Und wenn ich erstmal schlafe, dann bemerke ich die Unbequemheit dieser Bank nicht mehr.

Es erschien traurig. Alles an ihr machte auf Menschen diesen traurigen Eindruck. Und das war in Ordnung, denn es war die Wahrheit. Glücklich war sie nicht. Nicht mehr, seit ihre Eltern einfach gingen und sie allein ließen. Sie hielt krampfhaft an den Erinnerungen fest, die ihr immer wieder vor die Augen kamen, wohin sie auch ging. Hoffte so auf die Rückkehr ihrer verschwundenen Eltern. Hoffte, sie würden es vielleicht bereuen.

Doch mit jedem neuen verstrichenen Tag, sinkte die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Eltern wirklich wiederkehren würden. Sie waren zu lang fort. Hatten sie womöglich längst vergessen.

Ihr Po rutschte auf der Bank herum, die ihr immer mehr Schmerzen bereitete. Sie hielt es nicht mehr aus, auf ein und derselben Stelle zu sitzen. Sie setzte sich im Schneidersitz hin, doch dabei taten ihre Knöchel weh. Dann setzte sie sich auf ihre Knie, doch dafür fehlte irgendwie etwas Platz, und auf ihrem Po wollte sie nicht mehr sitzen, denn der tat ja weh.

blind.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt