no. 9

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>So when your tears roll down your pillow like a river
I'll be there for you
I'll be there for you
When you're screaming, but they only hear you whisper
I'll be loud for you
But you gotta be there for me too<

-Martin Garrix / Troye Sivan - There For you

×××

Sie spürte, dass es weh tat. Ihn anzusehen, tat ihr weh. Ihr Herz schmerzte, als sie ihn aus der Ferne beobachtete. Und das tat sie oft, da er sie nicht mehr nahe an sich heran ließ.

Ardian versuchte, ihr aus dem Weg zu gehen. Er schaffte es eine ganze Woche. Eine gesamte Woche, in der sich Josi in der Familie eingefunden hat. Ihr ging es besser, ja vielleicht sogar besser als jemals zuvor in ihrem Leben. Sie fühlte sich wieder wie Jemand. Wie wer, der sein Leben zurück hatte.

Sie fühlte sich wieder lebendig. Als hätte Nancy mit ihrem Deal ihr ihr Leben zurück gegeben. Ein Geschenk gemacht, das Ardian zum Kotzen fand.

Ardian ignorierte Josi die ganze Woche über. Er sprach nicht mit ihr, und wenn, dann nur das Nötigste. Er wollte ihre Hilfe nicht. Er wollte niemand sein, der wichtig für sie wurde, da sie sonst kein Zuhause mehr haben würde. Er wollte nicht der Jemand sein, für den sie die Verantwortung trug. Er war doch alt genug, um auf sich aufzupassen. Nicht unbedingt draußen, aber immerhin in seinen eigenen vier Wänden.

An den Abenden, an denen sich Nancy eigentlich vorbildlich betrank, saß er in seinem dunklen Zimmer und hörte dem Rauschen mancher Autos zu, die an seinem Fenster vorbei fuhren, um sich nicht vollkommen auf das Geräusch der vermischten Stimmen aus dem Wohnzimmer konzentrieren zu müssen. Er wollte nicht dabei zuhören, wie Josi Nancy nun Gesellschaft im Suff leistete.

Er fühlte sich immer mehr gefangen. Verloren in seinem Zuhause. Als wüsste er nicht mehr, wo er war und wie sich das alles damals angefühlt hatte, als er noch ein kleiner Junge war. Ihn verließ die Erinnerung an ein Zuhause, in dem er gern gelebt hatte, obwohl er es nicht sehen konnte.

Er vermisste es, wie er und Josi am Anfang geredet hatten, bevor er sich dazu entschied, auf Abstand zu gehen. Er vermisste ihre Stimme, die ehrlich zu ihm war. Er vermisste selbst ihren Duft, aus dem er an dem Tag, an dem er sie kennenlernte, den Schweiß roch, da es draußen heiß gewesen war.

Er vermisste alles. Es kam ihm so fremd vor. Fast wie eine Geschichte, die er nur erzählt bekommen und nicht erlebt hatte. Eine ferne Erinnerung an etwas, das er nicht mehr fühlte. Ihm fehlte der dünne, seidene Faden, von dem er dachte, er würde ihn und Josi verbinden.

Josi fühlte dasselbe. Sie vermisste alles, was er auch vermisste. Sie saß die Abende mit Nancy und dem Wein im Wohnzimmer, da sie nicht wusste, wohin mit sich. Sie fühlte sich Nancy unterlegen, da diese ihr ein Heim bot. Sie kam sich gemein vor, würde sie die Abende nicht mit Nancy verbringen und eine Unterhaltung meiden. Sie fühlte sich einfach unterwürfig, das hasste sie.

Obwohl sie abends merkte, wann Nancy anfing, Worte nicht mehr schnell aussprechen zu können und größenteils Mist zu reden, blieb sie still neben der angetrunkenen Frau sitzen, die in ihrem Suff kein gutes Wort mehr über die Lippen brachte, das sich auf ihren eigenen Sohn bezog. Das tat Josi weh. Nancy unterschätzte ihn, dachte sie. Nancy wusste nicht, wie viel mehr sich hinter seiner Fassade befand.

Josi wusste es teilweise. So weit, wie er sie an sich heran gelassen hatten. Dann von sich stieß. So weit ausgrenzte, dass Josi in Frage stellte, wie lang er und auch sie noch so weitermachen könnten. Wie lang es dauern würde, bis sie endlich verstehen könnte.

Sie verstand ihn in der Hinsicht nicht.
Ardian sagte ihr nie, nicht ein Mal in der ganzen Woche, was sein Problem war. Er klärte sie nicht auf, sondern ließ sie seine volle Breitseite spüren.

blind.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt