1. Sitzung

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„Können Sie die Sonnenbrille bitte abnehmen?“, wünscht sich die gutaussehende Brünette hinter dem Schreibtisch. „Tschuldige Babe, aber von der beschissenen Ikea-Lampe krieg ich das Kotzen“, erkläre ich und gähne. Mein Kopf pocht wie verrückt und ich hab das Gefühl, dass ich mit nur einer falschen Bewegung den Würgereflex auslösen könnte.

„Nun gut Mr. Carter. Sie wissen hoffentlich wieso Sie hier sind?“

Irgendwas kritzelt sie in ihren Notizblock und ich könnte schwören, dass sie meinen vorigen Kommentar in Anführungszeichen setzt – mich also zitiert. Der würde ich noch glatt zutrauen, dass sie es meinem Bewährungshelfer vorlegt. Wegen dem Typen muss ich nämlich hier sitzen und wegen diesem alten Opa der mich angezeigt hat, weil ich zu oft von seinem Hausdach gesprungen bin. Das endete dann natürlich vor Gericht und da der Richter wohl glaubte, dass ich einfach nur eine Macke habe hat er mir, anstatt Sozialstunden, diesen Scheiß hier angeordnet. Achtundvierzig Sitzungen bei einer Psychiaterin, die sich so benimmt als würde jedes Wort was ich sage unfassbar wichtig sein.

„Ja, Sie schreiben sich irgendetwas auf und legen es dem Richter vor. Wahrscheinlich schreiben Sie dasselbe Zeug, wie all die anderen. Ich wäre psychisch labil; schwer depressiv und den ganzen anderen Scheiß. Außerdem Alkoholiker und ein Junkie. Des weiteren hätte ich eine maßlos hohe Selbstüberschätzung und das mit der Unsterblichkeit muss ich doch nicht erwähnen, oder?“

So damit habe ich alles aufgezählt. Und irgendwie breitet sich in meinem Mund ein wirklich widerlicher Geschmack von Galle aus. Hier nach sollte ich meinem Dealer einen Besuch abstatten und mir was Natürliches verschreiben lassen. Diesen Tag stehe ich in dem jetzigen Zustand nämlich definitiv nicht durch. „Gut, und was glauben Sie, wie ich Ihnen helfen kann?“, reißt mich die Therapeutin aus meiner Nachmittagsplanung. Noch so eine bescheuerte Frage, wie die ganzen Ärzte vor ihr. Und demnach kann ich nichts dafür, dass meine Antwort wie immer provokant ausfällt.

„Sie könnten sich ausziehen und wir treiben es auf dem Tisch.“

„Und das würde Ihnen helfen?“

„Na ja, Ihnen würde das mehr helfen als mir.“

Sie schmunzelt, schreibt noch etwas auf ihr dämliches Blatt. Vermutlich geht’s jetzt darum, dass ich sie angebaggert habe – und das war noch nicht mal einer von meinen guten Sprüchen. „Also, wie war Ihre Woche?“, wechselt sie einfach das Thema. Vermutlich ist ihr das niveaulose Flirten mit Patienten zu heikel. Irgendwie wäre es aber heiß, wenn es Regeln dagegen geben würde. Ich sollte das mal googlen. Aber ihre neue Frage ist gar nicht mal so dämlich, nur weiß ich nicht genau was ich dazu sagen soll.

„Meine Woche? Keine Ahnung, war die eine Hälfte besoffen und die andere hab ich geschlafen. Aber ich schulde ein paar Nutten noch extrem viel Knete.“

Sie seufzt, kritzelt noch was und presst die Lippen aufeinander. Dann antwortet sie.

„Und wie haben Sie sich gefühlt? Gab es emotionale Tiefs? Dachten Sie an Selbstmord?“

„Wow, sachte Lady. Um Ihnen Ihre letzte Frage zu beantworten; ich denke immer an Selbstmord. Wegen der zweiten Frage; ich bin dauernd dicht, ich habe bestimmt so 'emotionale Tiefs', ich kann mich nur an keins erinnern.“

„Sie haben die erste Frage nicht beantwortet.“

„Und Sie sich immer noch nicht ausgezogen.“

Wieder schmunzelt sie und ich muss zugeben, dass sie echt nicht hässlich ist und sogar verhältnismäßig jung. Vermutlich hat sie ihren Abschluss erst seit drei oder vier Jahren und ihrem Aufzug nach zu urteilen hat sie morgens genug Zeit.

„Mr. Carter, wollen Sie die nächsten fünfundvierzig Minuten mit sexuellen Anspielungen verbringen?“

„Nein, nur die nächsten zehn. Dann geh ich davon aus, dass Sie in Unterwäsche auf ihrem Schreibtisch sitzen und mich anlächeln.“

Sie schreibt noch etwas auf, spielt dann mit ihren Haaren und legt den Kopf schief. Wenn ich nicht aufpasse wird sich noch irgendwas in meiner Hose regen und das wäre dann mehr als nur peinlich. Also bloß nicht weiter darüber nachdenken, was sie für Unterwäsche tragen könnte. Bestimmt ist es eh nichts besonders, sondern so langweilige mit Blümchenmuster. Sie arbeitet ja schließlich, da muss sie wohl kaum in rotem Spitzenhösschen rumlaufen, beziehungsweise sitzen. Ob solche Unterwäsche das Vertrauen zu den Patienten stärken würde? So ein Sexualstraftäter würde das jetzt nicht unbedingt davon abbringen Frauen zu vergewaltigen. Okay, vielleicht ist das doch keine gute Idee.

„Wussten Sie, dass Ihr Verhalten ein Anzeichen für fehlendes Selbstbewusstsein ist?“

„Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie sich aufgeschrieben haben, dass ich angeblich kein Selbstbewusstsein hätte.“

Das Hier wird langsam langweilig, wie viel Uhr ist es überhaupt und wie lange muss ich noch auf diesem unbequemen Stuhl sitzen? Wieso haben Psychologen eigentlich nie eine Uhr in ihrem Behandlungsraum hängen? Stattdessen sind die Wände hier weiß und kahl, die Fenster sind mit diesen dämlichen Lamellen verdeckt und so bekomme ich nur wenig Ausblick auf die Stadt. Was mir aber auffällt ist das Schloss an den Fensterhebeln – man kann sie also nicht so einfach öffnen. Eine Maßnahme um Selbstmord zu verhindern? Als wäre jemand so verzweifelt und würde sich in einer Praxis killen, der Therapeut ist echt so schlecht und lässt das zu oder aber – und das ist wesentlich wahrscheinlicher – der Therapeut will sich killen.

„Wollen Sie wissen, was ich aufgeschrieben habe?“

Ich schüttle den Kopf, so neugierig bin ich auch nicht.

„Gut, Jack.. darf ich Sie so nennen?“

„Sie können es ja stöhnen, wenn Sie unter mir liegen.“

Sie ignoriert auch diesen Kommentar. Dabei macht mir das langsam wirklich Spaß und es hilft mir dabei die Kopfschmerzen zu vergessen.

„Jack, ich kann verstehen, dass Ihnen nichts an einer Therapie liegt. Aber denken Sie nicht, dass es Ihnen helfen könnte mit sich und Ihrer aktuellen Situation klarzukommen?“

„Sie meine, weil ich unsterblich bin?“

„Nein, weil Sie offenbar schwerwiegende Probleme mit sich selbst haben. Jack, ich würde Ihnen gerne helfen sich selbst zu verstehen. Denn ich bin mir sicher, dass Ihr Leben um ein Vielfaches komplizierter ist als Sie es momentan schildern. Alleine der ständige Alkoholkonsum müsste Ihren Körper beanspruchen, wie steht es dann erst mit Ihrer Psyche?“

Ich schüttle den Kopf, seufze und erkläre möglichst einfach mein kleines Problem mit dem Tod.

„Es belastet meinen Körper nicht. Meine Zellen sind unsterblich. Heißt wenn etwas kaputt ist, dann ist es innerhalb von wenigen Stunden wieder komplett heil – ohne einen einzigen Kratzer. Das schließt abgetrennte Körperteile allerdings aus. Die muss man annähen und dann wachsen sie halt ganz normal wieder dran. Aber ansonsten läuft die Selbstheilung von selbst; weswegen ich also immer verdammt gut aussehe.“

Sie lacht auf, notiert sich etwas und streicht dann etwas anderes durch. Dann sieht sie auf ihre Armbanduhr – nächstes Mal zieh ich mir auch eine an. Moment; 'nächstes Mal'? Als würde ich nochmal her kommen. Andererseits muss ich doch herausfinden was sie für Unterwäsche trägt.

Nun steht sie auf, packt die zwei Seiten, welche sie mittlerweile über mich geschrieben hat in einen blauen Umschlag – meine Krankenakte. Dann lächelt sie und erwartet wohl, dass ich auch aufstehe. „Gut, dann bis nächste Woche Mr. Carter? Die Empfangsdame wird Ihnen einen Termin geben und ich reiche meine erste Einschätzung an Ihren Bewährungshelfer weiter.“ Sie hält mir ihre Hand hin, die ich allerdings ignoriere. „Vielleicht ziehen Sie sich ja nächste Woche für mich aus“, bemerke ich zum Abschluss, verlasse dann verkatert den Therapieraum.

Jack Carter Ist UnsterblichWhere stories live. Discover now