34. Sitzung

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Irgendwie gehen mir diese Stühle auf die Eier. Und der Schreibtisch auch. Bisschen nervt auch die Bloomfield und dieses Meerjungfrauen-Bild. Was soll das überhaupt hier? Ich meine, was ist wenn die Typen behandelt die Angst vor Meerjungfrauen-Bildern haben? Gibt ja auch schließlich Kerle, die Angst vor Freitagen haben. Ich bin mir nicht mehr sicher, aber ich meine zu wissen dass es sich Friggaphobie nennt. Welcher Tag ist heute nochmal? Mittwoch. Geil, heute Abend läuft im Pay-TV diese japanische Quizshow – auf japanisch. Ich liebe es.

„Guten Morgen, Jack."

Ex-Supermodel lächelt, trägt keinen Ring und wirkt allerdings etwas zerzaust. Aber nicht so schlimm, dass ich jetzt sagen würde, dass es ihr miserabel geht. Eher wie diese Hunde, die immer Haare vor den Augen haben. Ach du scheiße, die ist nicht zerzaust! Die hat sich einen Pony geschnitten.

„Das sieht ja mal scheiße aus. Haben Sie den schwulen Friseur in Lower Manhattan ausprobiert?"

Ja, Carter. Sehr spezifisch ausgedrückt. Ist ja nicht so, dass Lower Manhattan bestimmt fünfzig schwule Friseure hat. Aber der den ich meine, hat seinen Laden gleich neben der NYU und ist dumm. Der hat mir mal die Haare abrasiert. Aber das lustige an meinen Haaren ist, dass egal was ich mache; sie bleiben hellbraun, perfekt frisiert und prinzipiell auf der selben Länge, wie ich sie mit siebzehn auch schon hatte. Deswegen hab ich auch kein Bart und werde vermutlich nur einen haben, wenn ich mir mit Permanent-Stift einen draufkritzeln würde. Dabei wollte ich immer so ein Ziegenbärtchen haben, das ich dann ganz nachdenklich streicheln kann. Aber hey, wer mit siebzehn keinen wirklichen Haarwuchs hatte und dann unsterblich wird; wird nie welchen bekommen. Ich kann von Glück sagen, dass 2007 keine Undercuts In waren. Mit dem Scheiß würde ich nie und nimmer den Rest meines ewigen Leben umher wandern wollen. Obwohl, wenn man sich Bilder von Taylor Lautner ansieht, wie er 2007 aussah, dann weiß man auch nicht so recht, was eine coole Frisur jetzt ausmacht und was nicht.

„Ist der Pony so schlimm?", gibt Elisabeth nun überraschend verunsichert von sich.

„Ziemlich sogar. Wenn Sie allerdings Pickel auf der Stirn hätten könnte man das aber auch schon wieder als Schutz für die Gesellschaft betrachten." Aber sie hat keine Pickel. Nicht mal Sommersprossen. Ihre Haut sieht aus wie aus den ganzen Make-Up-Werbungen.

Jetzt ein Seufzen, ein Blick auf meine Akte und dann runzelt Elisabeth die Stirn. „Vor ein paar Tagen war Valentinstag", spricht sie sachlich aus. Ich setze daraufhin ein falsches Lächeln auf und überlege wen von uns beiden ich töten sollte. Mich? Sie? Moment. Vielleicht das Meerjungfrauen-Bild? Die Zimmerpflanze? Oder diese beschissene Pralinenschachtel, die da so seelenruhig vor sich hin vegetiert. Rot, Herzchenform und die Schokolade drin schmeckt bestimmt zum kotzen. Aber Schokolade kann ich allgemein nicht ausstehen. Das tut niemand mehr, wenn man das mal zusammen mit Galle und anderen halbverdauten Gerichten wieder hochgewürgt zu Gesicht bekommen hat.

„Jack."

Sie klingt mahnend. Scheiße, erwartet die echt, dass ich ihr von meinem Leben erzähle?

„Was willst du, Babe?"

Vielleicht ist der Pony Teil einer Midlifecrisis oder das ist so ein Trennungsding: 'Ich bin geschieden – ich brauch einen Pony'. Normalerweise schreibt man in diesem Fall einen beschissenen Liebesroman und nennt es Shades of Gay. Oder man kauft sich ein Cabrio. Beides ist aber lukrativer als sich einen Pony schneiden zu lassen.

„Wie haben Sie den Tag verbracht?"

Komplizierte Geschichte.

„Ich hab zu lange auf meinem Steak gekaut."

Dabei ging Valentinstag eigentlich ganz nett los.

Da lag ich also in meinem Bett, führte das morgendliche Ritual des Deckenanstarrens durch und wartete darauf, dass meine Morgenlatte abließ. Vielleicht hab ich auch darauf gehofft, dass der Sensenmann sich neben mich legt und mir sagt, dass ich jetzt verreckt bin. Daraufhin hätte es dann einen Regen aus Zuckerwatte und Gummibärchen gegeben, mein Bett hätte angefangen zu schweben und dann wäre ich durch die Decke gekracht. Jedes Mal wenn dieses Szenario an der Stelle ist, wirft das die altbekannte Frage auf: wer wohnt in der Wohnung über mir? Und dann habe ich das Bild davon im Kopf, wie ich durch die Decke – also quasi durch den Boden – in eine Badewanne krache.

Jack Carter Ist UnsterblichWhere stories live. Discover now