3. Sitzung

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Noch einmal der kleinen Blondine am Empfangstresen der Praxis zu lächeln und sich dann möglichst lässig in das Behandlungszimmer begeben. Die Psychologin blättert kurz durch meine Akte und sieht dann auf, setzt ein freundliches Lächeln auf und streckt mir erneut ihre Hand hin. Und wieder gehe ich darauf nicht ein, lasse mich stattdessen nur auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch fallen. Eigentlich möchte ich meinen Blick sofort auf die Palme richten, aber ihre langen Beine und ihr knackiger Hintern sind dann doch irgendwie interessanter.

„Guten Morgen, Jack“, begrüßt sie mich. Kurz werde ich von ihr gemustert und sofort beginnt sie sich etwas zu notieren. „Sie überraschen mich. Ich dachte nicht, dass Sie pünktlich erscheinen“, bemerkt sie ruhig.

„Ja, ich hab kaum geschlafen.“

„Und dennoch wirken Sie frisch und ausgeruht.“

„War gerade noch duschen.“

Ich zucke mit den Schultern, lehne mich zurück und gönne es mir zu gähnen. Dabei schiebe ich meine Hände in die Hosentaschen. Der Geschmack meiner letzten Zigarette liegt noch im Mund und eigentlich hätte ich jetzt gerne etwas zu trinken. So ein Morgen-Bier wäre ganz nett, ob sie wohl so etwas da hat oder ernähren sich Psychologen wirklich nur von Kaffee und Wasser? Mein letzter Psychiater hatte immer Kekse da – nicht das die geschmeckt hätten, aber wenn man den Mund voll hatte konnte man ihm seine dämlichen Fragen nicht beantworten.

„Kann ich davon ausgehen, dass es Ihnen heute besser geht als in den letzten Sitzungen?“

„Weil ich 'frisch' aussehe?“

„Sie sind pünktlich.“

„War ich die letzten Male auch.“

Jetzt schreibt sie wieder etwas auf und dabei fallen ihr die braunen Haarsträhnen ins Gesicht, welche sich aus ihrem Dutt gelöst haben. Sie hat was von meiner alten Englisch-Lehrerin oder war sie nur die Referendarin? Auf jeden Fall war sie jung und verdammt heiß. Wir hatten etwas schräges miteinander, was dann aber schief lief – ihr Freund war der Sportler und zwei Köpfe größer als ich. Hab ich ihre Nummer eigentlich noch?

„Gut, erinnern Sie sich noch an unser Frage-Antwort-Spiel?“

„Ja, hat keinen Spaß gemacht.“

„Schade, ich hätte es gerne weiter mit Ihnen gespielt.“

Jetzt mustert sie mich wieder, sucht Blickkontakt, doch ich flirte mit der Pflanze. Ich weiß, dass sie eine 'sexuelle Anspielung' erwartet, wäre bei der Vorlage die sie mir gibt auch nicht schwer. Allerdings hab ich keine Lust, wozu auch? Letzte Nacht war ziemlich gut und benötigt dringend eine Wiederholung, ich bin mir aber nicht sicher ob die Dame das mitmacht. Nicht bei ihrem Boss.

Kurz wartet die brünette Ärztin noch, kramt dann das Frage-Blatt aus meiner Akte und geht es durch. Etwa vier oder fünf Fragen überspringt sie, bleibt dann an einer hängen und lächelt zufrieden.

„Gut, dann verraten Sie mir doch mal Ihren Beruf.“

Dämliche Forderung, die hat da einen Haufen Unterlagen in denen steht wie ich mein Geld verdiene. Außerdem ist meine Strafakte schon meine Bewerbung.

„Ich mach alles mögliche. Aber am liebsten bin ich auf'em Strich.“

Ich meine es eigentlich als Scherz, aber sie wirft einen kurzen Blick in ihre Unterlagen und bleibt dann an einem Polizeibericht hängen.

„Laut Ihrer Akte wurden Sie einmal wegen Prostitution festgenommen.“

„Ja, das war eine interessante Nacht. Aber eigentlich hab ich das Weib nur gedeckt, musste über Nacht in die Zelle und als ich am Morgen raus kam, hat sie sich ausgiebig bei mir bedankt“, erzähle ich lässig und gönne mir bei den letzten Wörtern ein zufriedenes Lächeln. Die Frau nickt, notiert wieder etwas. Mittlerweile hat sie bestimmt an die fünf Blätter über mich angesammelt und eigentlich wäre es ja ganz interessant zu lesen was da so alles steht. Aber wenn ich nachfrage sieht es so aus als würde ich mich für diesen Mist wirklich interessieren.

„Es war nicht Ihre erste Straftat, richtig?“

„Natürlich nicht, sonst hätte ich den Blödsinn überhaupt nicht durchgezogen.“

Ich zucke mit den Schultern. Laut Akte war es mein siebtes Verbrechen, wobei die Auswirkungen genauso folgenlos waren wie von denen davor. Länger als zwei Wochen war ich nie in Haft gewesen und das hätte ich ehrlich gesagt auch gar nicht ausgehalten, blöderweise aber überlebt. Die Menschen dort waren seltsam und fanden es ziemlich lustig, dass ich unsterblich bin – haben versucht mich umzubringen. Aber gut, ich hätte auch öfter den Rand halten sollen, hätte mir ein paar schmerzhafte Erinnerungen erspart. Vielleicht sollte man einem großen Muskelprotz nicht unbedingt sagen, dass man glaubt, dass seine Freundin gemachte Brüste habe und man mal nachfragen wolle, ob man denn Recht damit habe.

„Jack, Sie wirken abwesend“, holt mich die Ärztin nun aus meiner Erinnerung zurück und ich nicke der Zimmerpalme zu. „Ist es so erstaunlich, dass ich nachgedacht habe?“, gebe ich zurück und runzle die Stirn.

„Es unterstützt nur den Verdacht, dass Sie heute zufriedener mit sich sind. Ist in den letzten Tagen etwas besonderes vorgefallen?“

„Nichts was Sie toll finden würden.“

„Sie müssen es nicht erzählen.“

„Hatte ich auch nicht vor.“

Sie nickt zustimmend, schreibt etwas auf und streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Die Ärztin wirkt konzentriert und erinnert erneut an die Eine aus meiner ehemaligen High School. Sie hat ein hübsches Gesicht und wenn man genau hinsieht sieht man die kleinen braunen Punkte auf ihren Wangenknochen – Sommersprossen. Jetzt blickt sie wieder auf den Frage-Zettel, dann zur ihrer Uhr und kurz wirkt sie nachdenklich, beginnt dann aber wieder zu reden.

„Wie oft haben Sie diese Woche versucht sich umzubringen?“

„Acht oder neun Mal. Ich zähl es immer noch nicht.“

„Und wie?“

Ich muss lächeln, denn was den Suizid betrifft hab ich meine Lieblingsart definitiv gefunden – das Springen von Hausdächern. Und so antworte ich auch.

„Bin gesprungen.“

„Alle neun Male?“

„Ja.“

Sie notiert sich etwas, beugt sich dann interessiert vor.

„Und wie hat sich das angefühlt?“

„So ungefähr wie Sex und Bungeespringen gleichzeitig.“

Ob das schon mal jemand ausprobiert hat?

„Würden Sie sagen, dass Sie süchtig nach diesem Gefühl sind oder dass Sie hoffen einmal wirklich zu sterben?“

Ich muss lachen, denn sie hat diesen Psychologen-Blick aufgesetzt, wendet ihren Stift in der Hand und wartet nur auf meine Antwort um die dann aufzuschreiben. Aber ich werde ihr die Antwort nicht geben, ganz bestimmt nicht.

„Babe, das Psycho-Doc-Ding steht dir nicht“, erkläre ich ihr, lege den Kopf leicht schief und lächle überheblich. Sie geht auf den Kommentar nicht ein, stattdessen notiert sie wieder irgendetwas und wirft einen Blick auf die Uhr. Wieder diese Erleichterung in ihrem Blick. „Gut, Jack. Unsere Zeit ist mal wieder um und Sie können stolz auf sich sein, die Wenigsten kommen ein drittes Mal.“ Jetzt muss ich mir ein Lachen verkneifen, grinse stattdessen allerdings breit. „Sie warten doch drauf oder?“, frag ich nach, weiterhin breit grinsend. Nun lacht sie kurz auf, verstummt dann aber wieder. „Nein, dass war nur eine unglückliche Wortwahl. Dann bis nächste Woche. Jacqueline wird Ihnen noch einen Termin geben.“

„Den haben wir heute Morgen schon ausgemacht. So irgendwo zwischen Morgensex und Gras rauchen.“

Jack Carter Ist UnsterblichWhere stories live. Discover now