16. Sitzung

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Und da wären wir wieder – welch Überraschung. Macht heute genauso wenig Spaß wie sonst auch. Nur bin ich dieses Mal auf Entzug. Nur hab ich dieses Mal eine beschissene Woche hinter mir. Nur könnte ich dieses Mal vielleicht doch ein wenig Hilfe gebrauchen.

„Sie wirken kaputt", stellt das Ex-Supermodel fest und ich bringe es nur zu einem Schulterzucken.

„Wenn du meinst, Babe."

„Erzählen Sie mir etwas, Jack."

Nein, heute nicht. Nie wieder. Es gib nichts über das es sich zu reden lohnt, denn im Endeffekt bin ich nichts weiter als ein psychisch labiles Wrack. Ich bin kaputt.

„Ich möchte nicht reden."

Enttäuschung, Frust und Depression. Wieso verdammt ist es so schwer zu sterben? Wieso verdammt ist es für mich so schwer?

„Was ist passiert?"

Okay, Carter. Einmal tief durchatmen. Ist schon schlimm genug dass du völlig fertig mit der Welt auf dem Sims eines Hausdaches sitzt und deine Therapeutin neben dir. Außerdem hab ich schon wieder diese verkackte Jacke zuhause gelassen und es ist Mitte-Oktober.

„Können wir nicht einfach schweigen?"

„Nein."

Mir ist kalt. Ich weiß nicht mal wieso ich Bloomfield überhaupt angerufen habe und wieso kann ich nicht einfach darunter springen, verrecken? Ein weiteres Mal versuche ich zu atmen, nur sind meine Lungenflügel zugeschnürt – guter Zeitpunkt für einen Erstickungstod.

„Sie wollen wissen was passiert ist?"

„Ich möchte verstehen wieso wir hier sitzen, Jack."

„Haben Sie das in Ihrem Studium etwa nicht gelernt?"

Sie seufzt. Genauso wie bei mir, baumeln ihre Beine von dem Sims hinab, als hätte sie keine Angst zu fallen – dabei könnte sie sterben.

„Sie haben Verbände an den Armen, Jack", weißt sie mich nun auf etwas hin, was mir schon längst bekannt ist. „Ich kann nicht sterben", murmle ich als Antwort und atme noch einmal tief durch. Falscher Zeitpunkt für Tränen in den Augen, obwohl sie da sind. Wann bin ich eigentlich so scheiße weich geworden und wann habe ich beschlossen heulend vor meiner Therapeutin zu sitzen? Ich hätte heute nicht kommen sollen, mich stattdessen wie üblich voll laufen lassen sollen und meinen Frust an einer Nutte abbauen sollen.

„Sie waren im Krankenhaus, oder?"

„Ich hab mir bis auf die Knochen geschnitten."

Ich flüstere, hoffe dass sie es nicht hört. Aber falsch gedacht, natürlich versteht sie meine Worte, jedoch lässt sie eine Antwort aus, stattdessen legt sie ihre Hand auf meinen Rücken.

„Ich hab mir meine kompletten Klamotten versaut, die Tinte geht wahrscheinlich nie wieder raus."

„Und das ist Ihre Sorge, Jack?"

Nur Schulterzucken zur Antwort und der armselige Versuch die Tränen weg zu blinzeln. Ich weiß nicht was ich ihr sagen sollte. Wozu denn überhaupt reden? Wieso kann ich nicht einfach springen, dem ganzen Scheiß das verdiente Ende bereiten?

„Was ist passiert?"

Sie klingt leise, bedacht darauf bloß keinen wunden Punkt zu treffen. Aber was will sie da schon noch treffen? Es ist doch schon alles in einem grauen Nebel verschwunden. Es gibt nichts mehr womit man mir weh tun könnte. Nein, das stimmt nicht. Eine Sache gibt es die schmerzt. Etwas was schlimmer als Unsterblichkeit ist.

„Kerry."

Ich zittere, wieder sind da Tränen in den Augen und die Idee von einem Sprung nimmt erneut Form an. Aber dieses Mal ziehe ich eine Schachtel L&M-Zigaretten aus der Jackentasche und zünde mir eine davon an. Elisabeth scheint es nicht zu rühren, doch ihre Hand verschwindet wieder von meinem Rücken. Stattdessen legt sie sie neben sich und versucht damit wohl den nötigen Halt zu finden um nicht von einem neunstöckigen Gebäude zu fallen und eine Zeit lang erfüllt sie mir den Wunsch von Stille. Ruhig ziehe ich an der Zigarette, blase den Rauch wieder hinaus und sehe zu wie der Wind ihn davon trägt, ihn mit dem leichten Smog über Manhattan vermischt. Von hier lässt sich in der Ferne sogar Brooklyn erkennen.

„Wieso rauchen Sie?", fragt sie mich nach gefühlten Stunden und ich zucke mit den Schultern. „Ich muss da was abtöten", gebe ich zurück.

„Sie schämen sich für Emotionen, nicht wahr?"

Wieder nur ein Schulterzucken.

„Jack, was unsere Therapie betrifft ist das Hier ein großer Fortschritt."

Ist das ein Lob oder soll das heißen, dass sie mich verändert?

„Sie wissen nicht wie es aussieht wenn ich springe, oder?"

„Nein, und das gut so. Sie sollten nicht springen, Jack."

Ich muss über ihre Naivität schmunzeln. Sie glaubt, dass sie mich mit Gesprächen zusammenflicken kann. Dass sie somit wieder Scherben zusammen setzten kann und ich anfange ein Glas halbvoll zu sehen, anstatt halbleer.

„Glauben Sie, dass ich noch zu retten bin?"

Sie seufzt, setzt zu einer Antwort an, spricht sie aber nicht aus. Stattdessen überlegt sie kurz, scheint ihre nächsten Worte mit Bedacht wählen zu wollen. „Natürlich, Jack", ist schließlich aber dann doch alles was sie zu sagen hat.

„Ich kann das nicht."

„Was können Sie nicht?"

„Den Rest meines Lebens.." Ich breche den Satz wieder ab und muss auflachen. Es ist kein schönes Lachen was da aus mir raus kommt, sondern eines, das man unter Tränen und Verzweiflung von sich gibt. Eines, das dafür steht dass man nicht weiter machen kann – nicht weiter machen will.

„Irgendwann werden alle um mich herum tot sein. Sie dürfen alle sterben, menschlich sein und was ist mit mir? Wieso darf ich das nicht haben?"

„Haben Sie Angst vor dem Tod, Jack?"

„Was?"

Sie presst die Lippen aufeinander, antwortet dann.

„Wenn Sie sterben, gibt es kein zurück. Ich weiß, dass Sie Ihre Unsterblichkeit für etwas schreckliches halten, dass Sie die Einsamkeit die damit einhergeht nicht aushalten. Das war mir schon bei unserer ersten Sitzung bewusst. Jedem fällt sofort ins Auge wie alleine Sie sich fühlen, Jack. Aber das sind Sie doch gar nicht."

„Noch nicht. In fünfzig Jahren sieht das Alles anders aus."

„Dann bereiten wir Sie darauf vor. Ich kann nichts an Ihrer Unsterblichkeit ändern. Ich kann Ihnen nur helfen damit klar zu kommen."

Ich schüttle den Kopf, werfe den mittlerweile verrauchten Zigaretten-Stummel hinter mich und verkrampfe mich etwas auf dem Sims.

„Ich werde nie damit klar kommen. Ja, ich bin einsam. Ich bin kaputt. Und egal was Sie sagen, es wird immer so bleiben. Bis in alle Ewigkeit."

Mein Blick fällt auf die Straße hinab. Ich könnte aufstehen und das Dach verlassen. Oder springen. Vielleicht klappt es ja dieses Mal mit dem Sterben.

Langsam schaffe ich es von den kleinen Schatten der Menschen unter mir die Augen abzuwenden, betrachte stattdessen die Verbände. Der Schmerz, dieses unbeschreibliche Ziehen und Brennen ist mir noch in Erinnerung. Genauso wie das viele dunkelblaue Blut an den weißen Badezimmerfliesen. An die Heizung gelehnt hatte ich gesessen und gespürt wie die Hitze sich durch das T-Shirt in meinen Rücken gebrannt hatte. Meine Augen hatte ich geschlossen. Sterben wäre so schön gewesen, so erleichternd.

Wieder fällt mein Blick auf die Straße, aus den Augenwinkeln sehe ich wie Elisabeth in den Horizont blickt. Ich entschließe mich, dass es egal ist wie ich von diesem Dach verschwinde. Also drücke ich mich von dem Sims ab und stürze völlig haltlos hinunter.

Jack Carter Ist UnsterblichWhere stories live. Discover now