Ein Meer an Bedeutungen

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Laute Stimmen hallten aus der Eingangshalle bis hinauf in mein Zimmer. Ich war gerade dabei, die letzten Zeilen eines guten Buches zu lesen, doch die Unterhaltung draußen machte mich neugierig. Also klappte ich das Buch zu und erhob mich. Natürlich schickte es sich für den Sohn eines Lords nicht, einfach so zu lauschen. Doch da ich mir zu hundert Prozent sicher war, dass meine Schwestern ebenfalls wissen wollten, was los war, musste ich mir um die Beschaffung der Informationen keine Sorgen machen. Mit schnellen Schritten eilte ich den Gang entlang und hielt nach Jinsol und Yves Ausschau.

„Jisung! Jeongin! Kommt ihr bitte mal!" Die Stimme meines Vaters kam eindeutig aus der Eingangshalle.

Tia, dann würde ich wohl aus erster Hand erfahren, wer uns gerade besucht hatte.

Ich lenkte meine Schritte zielstrebig auf die breite Marmortreppe zu und kam zeitgleich mit Jeongin bei unserem Vater an.

„Der Bote des Königs war da. Wir sind heute Nachmittag auf seinem Landsitz mit ihm verabredet. Ihr werdet mich beide begleiten. Seine Söhne bringt er auch mit."

Super. Jetzt war auch meine Stimmung wieder am Tiefpunkt angelangt. Ich würde zwar Felix wiedersehen und darauf freute ich mich tatsächlich, doch dass Minho ebenfalls anwesend sein würde, bereitete mir Sorgen.

„Na los jetzt, ihr solltet euch passend kleiden."

„Vater? Darf ich jemanden mitnehmen, also kann mich jemand begleiten?", fragte mein Bruder vorsichtig. Eine tiefe Falte bildete sich auf der Stirn meines Vaters und ich versuchte abzuschätzen, ob es gleich eine Standpauke geben würde oder nicht. Dann glättete sich die Falte, so schnell, wie sie aufgetaucht war und mein Vater nickte.

„Ja ich denke, dass ist in Ordnung. Der König schätzt Besuch, so wie ich ihn kenne, hat er nichts dagegen."

Überrascht blickte ich zu meinem Vater. Normalerweise war er nicht so freigiebig. Doch offenbar schien ihn das bevorstehend Wiedersehen mit seinem Freund und König sehr milde zu stimmen.

„Danke Vater." Mit diesen Worten war Jeongin bereits die Treppe nach oben geeilt und schien sich schon einmal vorzubereiten.

Auch ich schickte mich an, wieder auf mein Zimmer zu verschwinden.

„Jisung. Es ist gut, dass du gleich die Aufmerksamkeit beider Prinzen auf dich gezogen hast. Ich denke, du solltest dir heute besonders viel Mühe bei deinem Erscheinungsbild geben."

Mein Vater hatte mit sanfter Stimme gesprochen, seine Worte waren ein gut gemeinter Rat und dennoch zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen.

Er wollte, dass ich die Prinzen beeindrucke? Reichte ihm das Ansehen und der Status unserer Familie noch immer nicht aus? Wollte er mich jetzt am liebsten noch mit einem der beiden verheiraten? Oh nein, das durfte nicht passieren! Warum nur ich?

Schwer schluckte ich und nickte. „Wie du wünschst." Ich hatte diesen Satz eher geflüstert, war mir nicht einmal sicher, dass er mich gehört hatte. Doch dann legte sich eine warme Hand auf meinen Rücken und strich kurz darüber.

„Sei nicht so eingeschüchtert. Ich konnte dich vorgestern beim Tanzen beobachten. Du solltest mehr Vertrauen in dich selbst haben. Du bist ein hübscher junger Mann und da darfst du auch selbstbewusster auftreten."

Da war es wieder, das Wort mit so viel mehr Bedeutung, als gut war. Vertrauen.

Erneut nickte ich. Ich hörte, wie sich mein Vater mit einem zufriedenen Summen entfernte und mich in der hohen und leeren Eingangshalle zurückließ.

Jetzt schossen mir noch weitere Worte in den Kopf. Noch mehr Worte, die mehr Bedeutung für mich hatten, als gut war. Leere. Schmerz. Angst.

The Earl and the Prince | MinsungWhere stories live. Discover now