Das Leben eines Prinzen

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Ich erwachte nicht wie sonst durch das Zwitschern der Vögel, sondern durch die Stimmen der Bediensteten. Diese liefen geschäftig auf dem Gang hin und her und ihre leisen Gespräche drangen an mein Ohr. Vorsichtig drehte ich mich um und sah zur anderen Betthälfte hinüber.

Sie war leer.

Mehrmals blinzelnd setzte ich mich auf und rieb mir die Augen. Schon wieder stieg dieses ungute Gefühl in mir auf und ich musste mehrmals schlucken, um den sich bildenden Kloß in meinem Hals loszuwerden.

Würde das jetzt mein Alltag sein? Neben dem Prinzen schlafen, doch trotzdem nicht wirklich bei ihm sein? Früh alleine aufwachen und nicht wissen, was ich mit mir selbst anfangen soll?

Gefühlte Ewigkeiten blieb ich einfach im Bett sitzen, strich die Decke glatt oder verfolgte mit den Augen die kleinen Sonnenstrahlen, die winzige Lichtpunkte von den Goldmustern der Tapete reflektierten. Schließlich beschloss ich, mich anzuziehen und dann zum Frühstück zu gehen.

In dem kleineren Speisesaal angekommen, war ich vollkommen allein. Na gut, eigentlich wurde ich sofort von zwei Dienern begrüßt, die mir auf meinen Wunsch hin einfach ein Brötchen und etwas Obst brachten.

Während ich mein Frühstück aß, trat ein weiterer Diener mit einem Silbertablett ein und verbeugte sich vor mir.

„Prinz Jisung, ich soll euch diesen Brief von Prinz Felix überbringen." Mit diesen Worten hob er den Deckel ab und präsentierte einen gefalteten Umschlag, mit dem Siegel der Königsfamilie.

Ein wenig verwirrt blickte ich auf den Brief, griff nun aber nach diesem und bedankte mich.

Warum um alles in der Welt schrieb mir Felix einen Brief, wenn er genauso gut mit mir sprechen konnte?

Kurz starrte ich auf das glatte, beige Papier, auf dem mit blauer Tinte mein Name stand. Entschlossen brach ich das Siegel und faltete das Blatt auseinander.


Lieber Jisung,

es tut mir sehr leid, dass ich gerade nicht bei dir sein kann. Ich weiß, wie schwer eine Eingewöhnungsphase in einer vollkommen fremden Umgebung ist aber du hast ja noch Minho.

Leider musste ich spontan verreisen und werde wohl erst in zwei Wochen wiederkommen. Alles ist sehr überstürzt entschieden worden und deshalb konnte ich mich bedauerlicherweise nicht persönlich von dir verabschieden. Du hast jetzt bestimmt ziemlich viele Fragen, die ich alle beantworten werde, wenn ich wieder zurück bin.

Alles Liebe Felix.


Ich musste das Gelesene erstmal verarbeiten und irgendwie stiegen die Tränen in mir auf.

Jetzt war nicht einmal mehr Felix für mich da. Ich hatte in diesem riesigen Schloss keinen, mit dem ich mich einfach normal unterhalten konnte. Keinen, der mich verstand und mir helfen würde, wenn mir alles zu viel wurde.

Schnell schüttelte ich den Kopf und wischte mir über die Augen. Ich würde stark bleiben und auch alleine zurechtkommen. Es waren ja nur zwei Wochen und dann wäre Felix auch wieder da. Das würde ich auch alleine hinbekommen.

Entschlossen stand ich auf und steckte den Brief ein.

Zunächst würde ich jetzt wohl einen kleinen Rundgang durch den Palast machen. Natürlich wäre es einfacher, wenn mich jemand herumführen würde, doch wen sollte ich schon fragen?

Nein ich würde mich schon selbst zurechtfinden.

......................................

Mit großen Schritten lief ich die Gänge entlang, sah mich um und versuchte mir die vielen Säle und Räume zu merken, durch die ich schon gekommen war.

In den letzten Stunden, hatte ich tatsächlich einige schöne und auch interessante Orte gefunden. Unter anderem einen Waffentrainingsraum, das Musizierzimmer mit einem großen Klavier, einen verglasten Wintergarten mit einigen Orangenbäumen, sowie einen sehr hübschen Pavillon mit angrenzendem See an der Südseite des Schlosses.

Gerade hatte ich den Nordflügel betreten und trat auf eine wirklich hohe Tür zu, die mit Intarsienarbeiten verziert war. In dem sonst braunen Eichenholz der Tür, war ein schwarze Rabe mit einem Buch in den Krallen zu erkennen.

Dann hatte ich wohl endlich mein Heiligtum gefunden.

Ich stemmte mich also gegen den rechten Türflügel und trat in den Raum ein. Die Bibliothek des Palastes. Schon fast wieder fröhlich gestimmt, lief ich die vielen Regalreihen entlang und las einige Buchtitel.

Neuen Lesestoff hatte ich hier reichlich, doch ein angrenzender Gang erregte gerade viel stärker meine Aufmerksamkeit. Also bog ich nach links ab und folgte dem mysteriösen Gang, der in einem weiteren Saal endete. Dieser war allerdings nicht mit Büchern angefüllt, sondern mit Gemälden und Kunstwerken.

Zentral standen sogar einige Marmorstatuen, die gute drei Meter hoch waren. Fasziniert trat ich auf eine davon zu. Ein Mann mit lockigem Haar und Bart saß mittig auf einem kleinen Sockel und seine Beine wurden von einer Schlange umwunden. Eine weitere Schlange war gerade im Begriff ihn zu beißen, jedoch hielt er ihren Körper gepackt. Zu seiner linken und rechten Seite, standen zwei weitere, etwas kleinere Figuren, die ebenfalls von den Schlangen umschlungen wurden. Schon fast verzweifelt, versuchten sich die drei Personen aus der tödlichen Umklammerung zu befreien.

Obwohl es eine statische Skulptur war, so wirkte die dargestellte Situation real und bedrohlich. Dann las ich das kleine Schild, das am Sockel angebracht worden war. Laokoon. Nun wusste ich auch, dass die Skulptur zu einem griechischen Mythos gehörte.

Nur noch neugieriger geworden, besah ich mir die anderen Werke und war tatsächlich überwältigt von der Vielfalt und Ästhetik, die diesen Raum beherrschte. Schließlich fand ich sogar mehrere Gemälde der Königsfamilie. Alles sehr detailreiche und treffende Portraits. Bewundernd trat ich näher. Der König und die Königin standen auf einem der Bilder Seite an Seite, ein anderes zeigte Minho zusammen mit Felix und dann eines, auf dem ein jüngerer Minho mit einem Mädchen zu sehen war.

Mein Prinz stand mit einem glücklichen Lächeln hinter dem Stuhl des Mädchens, hatte einen hübschen purpurnen Anzug an und lehnte sich etwas zu der Braunhaarigen herab. Sie hingegen saß mit übergeschlagenen Beinen auf dem Stuhl, ihr langes, goldenes Kleid bildete den perfekten Kontrast zu ihren dunklen Locken und die braunen Augen strahlten warm zu Minho hinauf.

Das nächste Bild in der Reihe, war wieder ein Einzelportrait. Das Mädchen von gerade eben blickte mir mit einem fröhlichen Lächeln entgegen und ich konnte nicht umhin, ihre Schönheit und ihre Anmut zu bewundern.

Plötzlich grummelte mein Magen und ich stellte mit erschrecken fest, wie viel Zeit ich doch mit meiner Entdeckungsrunde vertrödelt hatte. Es war schon kurz nach 18 Uhr und ich sollte mich beeilen, um noch etwas vom Abendessen zu bekommen.

So eilte ich jetzt also die Gänge entlang und huschte schließlich unauffällig in den Speisesaal. Nur Minho saß am Tisch und aß. Ich war ihm den ganzen Tag über kein einziges Mal begegnet und ich wusste auch nicht, was ich sagen sollte. Also setzte ich mich schweigend hin und begann, ebenfalls zu essen.

Der dunkelhaarige Prinz sprach nicht mit mir. Auch nicht, als wir ins Bett gingen. Heute hatte ich keinerlei Ambitionen, ihn erneut zu fragen, was nun weiter passieren sollte, also kuschelte ich mich in meine Decke. Jeder hatte seine Seite und da blieb er auch.

The Earl and the Prince | MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt