Die Tugend der Geduld

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Die nächsten zweieinhalb Wochen waren schon beinahe von einer strikten Routine geprägt. Ich genoss  diese Zeit, denn Minho war fast immer an meiner Seite.

Vormittags trainierten wir gemeinsam mit Felix und Changbin, was dazu führte, dass ich meine Fähigkeiten im Schwertkampf nochmal um ein vielfaches verbesserte. Es war wirklich beeindruckend, wie gut die beiden Prinzen mit den Waffen umgehen konnten. Letzte Woche hatten wir sogar einmal mit Dolchen und Lanzen geübt, um uns tatsächlich auf alles vorzubereiten. Fasziniert hatte ich zugesehen, wie Felix die kleine Klinge durch die Luft rotieren lassen hatte, als würde er gerade einen Kreisel drehen. Zu Beginn des regelmäßigen Trainings hatte ich häufig Muskelkater gehabt und auch einige blaue Flecke einstecken müssen. Doch ich lernte schnell und mittlerweile hatte ich es sogar zweimal geschafft, Felix zu besiegen. Doch an Minho biss ich mir meine Zähne aus, er war fokussiert und beherrschte seine Techniken so perfekt, dass ich ihm einfach immer unterlegen war.

Mein einziger Trost war, dass es Changbin und Felix da nicht anders ging. Selbst als Binnie und ich es einmal gemeinsam versucht hatten, waren wir nur mit mehr blauen Flecken und einer Niederlage aus dem Manöver hervorgegangen.

Nach dem Training gab es zwei Wahlmöglichkeiten für mich. Entweder ich verbrachte die folgenden Stunden bei meinem Prinzen in seinem Studierzimmer und versuchte, ihn mehr oder weniger vom Arbeiten abzuhalten. Oder ich saß in der Bibliothek, um zu lesen.

Doch für heute hatten wir einen weiteren, gemeinsamen Ausritt eingeplant. Um unseren Plan weiter voranzutreiben, hatten wir in letzter Zeit einiger solcher Ausflüge gemacht und dabei eine strenge Vorgehensweise verfolgt. Wir nahmen immer eine ähnliche Strecke und behielten die Umgebung und die landschaftlichen Gegebenheiten im Blick.

Das bedeutete, dass wir heute wieder einmal zu viert die Strecke, die wir für unser Täuschungsmanöver nutzen wollten, abreiten würden.

Ein wenig nervös war ich schon, denn wir konnten ja gar nicht wissen, ob unser Plan überhaupt aufgehen würde. Ich bezweifelte manchmal sogar, dass Minhos ehemaliger Freund Interesse an mir oder Binnie hatte. Da mein Prinz in der Öffentlichkeit äußerst penibel darauf achtete, mich nicht zu nahe an sich heranzulassen oder mir zu große Aufmerksamkeit zu schenken.

Vielleicht interessierte sich Yoon-woo ja gar nicht für uns. Möglicherweise war seine Rachsucht doch gestillt und es würde nicht zum Äußersten kommen. Aber leider mussten wir auf alle möglichen Szenarien vorbereitet sein und dazu gehörte nun auch einmal die Schlimmste aller Möglichkeiten.

Dass er uns alle töten wollte.

Und die einfachste Methode, um dieses Horrorszenario auszuschließen, war nun Mal ihn gefangen zu nehmen und somit jegliche Gefahr zu bannen.

Auch die täglichen Schwertkämpfe mit Minho, Felix und Changbin, führten mir immer wieder deutlich vor Augen, wie ernst und bedrohlich die Lage doch war. Komischerweise fühlte ich mich dennoch sicher und geborgen, was nicht zuletzt an Minho selbst lag. Allein seine Anwesenheit gab mir Kraft. Mit ihm hatte ich sowieso das Gefühl, alles schaffen zu können.

Gerade knöpfte ich das eher bequeme beige Hemd zu und entschied mich, frech wie ich war, den Umhang wegzulassen. Schließlich war es Sommer und dementsprechend warm genug. Da brauchte es nicht noch mehr Stoff.

Ich beeilte mich, auf den Vorhof zu gelangen, wo die anderen drei schon versammelt waren. Minho hielt meine Lippizanerstute am Zügel und blickte mir prüfend entgegen.

„Ist alles in Ordnung Jisung? Bist du dir sicher, dass du das schaffst?" Mein Prinz war wirklich überfürsorglich. Er fragte mich das tatsächlich jedes Mal.

Es schien so, als wolle er sich damit selbst beruhigen. Deshalb trat ich auf ihn zu, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und drückte ihm einen kleinen, flüchtigen Kuss auf die Lippen.

The Earl and the Prince | MinsungWhere stories live. Discover now