Champions, Väter und andere Probleme

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Claire ( POV )

Langsam versiegen die Tränen. Warum weine ich überhaupt? Das habe ich so selten getan, und auch nur um andere zu manipulieren. Aber jetzt...ist da ein Schmerz in meinem Herzen, der droht mich aufzufressen. Weshalb bloß? Liegt das an Will? Heilige Scheiße, ich hab doch wohl keinen Liebeskummer?! Ich atme tief durch. Wundervoll. Wirklich klasse. Loki's Tochter stirbt an gebrochenem Herz. Das wird sicher mega gut ankommen! "Hör auf dich selbst zu bemitleiden und such lieber deinen Vater! Der könnte deine Hilfe schließlich gebrauchen. Also fische ich mein Handy aus meiner Jackentasche und wähle eine verhasste Nummer.

"Hallo?", meldet sich eine honigsüße Stimme.

"Vivian. Ich bin's."

"Ach, die schlafende Tochter. Was macht dein Auftrag?" Kotzender Dreck, die Stimme hab ich definitiv nicht vermisst! Vivian ist arrogant und selbstherrlich. Aber leider auch der Champion meines Vaters. Und das allein ist der Grund, warum ihr Schwert Lucretia nicht an meiner Hüfte hängt und ihr Blut nicht an meinen Händen klebt.

"Vergiss den Auftrag. Wo ist Loki?"

"Bei mir. Warum?" Hohn schwingt in ihrer Stimme mit.

"Wo bist du?" Ihre Frage ignoriere ich.

"Du hast meine Frage nicht...", setzt sie an.

"Halt die Klappe! Sag mir, wo du bist! Sonst sorge ich dafür, dass du die längste Zeit ein Champion warst." Meine Stimme ist so hart und kalt wie Eis.

Stille am anderen Ende. Vivian schluckt hörbar. Ja, damit krieg ich sie immer. Der Gedanke, nicht wichtig zu sein, bringt sie um. "Du weißt, wo ich wohne? Gwen wird bald herkommen. Beeil dich." Ihre Stimme klingt schüchtern.

Ich lege auf. Dann verlasse ich die Höhle. Ein eisiger Wind und kleine Schneeflocken begrüßen mich. Ich lege zwei Finger an die Lippen; ein markerschütternder, schriller Pfiff durchschbeidet die Stille. Das Echo breitet sich sekundenschnell aus. Dann warte ich mehrere Minuten. Die Kälte macht mir nichts, hat sie ja noch nie. Nur der Schmerz in meinem Herzen wird wieder deutlich. Es schreit danach, zu Will zurückzukehren. Aber Will hasst mich. Und das macht es noch schlimmer. Wenn ich wenigstens zu ihm zurückkehren könnte. Ein Schatten über mir verdrängt die Gedanken an Will. Unsanft landet der schwarze Rock vor mir und stößt seinen schrecklich klingenden Schrei aus. Ich streiche sanft über seinen Schnabel. "Na, mein Hübscher. Alles in Ordnung?", frage ich ihn. Zur Bestätigung nickt er. Ja, dieses Wesen und ich kennen uns seit Jahren. Er ist freiwillig bei mir, er ist frei. Die Drogen, die sie sonst bekommen, hab ich von ihm fern gehalten. Und es würde keiner wagen, sie ihm zu geben. Deshalb hat er auch einen Namen. Desperatus, lateinisch für Verzweifelt. Er ist ein völlig am Ende gewesen, sowohl physisch als auch psychisch. Daher auch der Name. Ich kletter auf Desperatus und er steigt in den Hinmel auf.

Es ist beinahe wie Motorrad fahren, nur viel besser. Die Schwingen schlagen in einem mir unbekannten Rhythmus. Die Welt zieht nur so unter uns hinfort. Wind schlägt in mein Gesicht. Schneeflocken bleiben in meinem Haar und Desperatus' Gefieder hängen. Es ist wunderschön hier oben. Und es ist viel zu schnell vorbei. Desperatus landet vorsichtig in der Auffahrt von Vivian's Haus. Ich steige von dem schwarzen Rock herunter und streiche ihm nochmal über den Schnabel. Er schmiegt seinen Kopf an meine Brust und gibt ein schnurrendes Geräusch von sich. Nicht alle von ihnen sind böse und schrecklich. Manchmal täuscht es, wenn man eine bestimmte Abstammung hat. Kann ich ja ein Lied von singen. Wenn ich singen könnte.

Ich löse mich von Desperatus und steuer auf den Eingang zu. Die Tür ist nur angelehnt. Ich schiebe sie auf und trete ein. Vivian steht in der Eingangshalle ihrer ach so tollen Villa. Kastanienbraune Haare, hübsches Gesicht, goldene Augen. An ihrem Finger, wie üblich, der goldene Janusring mit den beiden Gesichtern darauf. Allein ihr Anblick macht mich rasend vor Wut. Dieses Mädchen versucht allen Ernstes meinen Platz einzunehmen. Die Tochter von Loki. Anfangs dachte ich, dass würde eh nicht klappen. Aber mittlerweile vertraut Loki seinem Champion mehr als seiner Tochter. Bitterkeit macht sich in mir breit. Ja, ich liebe meinen Vater. Aber das wird niemals auf Gegenseitigkeit beruhen.

"Dein Vater wartet am Garm-Tor. Dorthin bringen wir Gwen und die Kerze." Vivian unterbricht die angenehme Stille. Ihre nervtötende Stimme ist kaum zu ertragen. Warum ist sie bloß sein Champion?

"Aha", mache ich nur.

Ich will an ihr vorbei, zu meinem Vater laufen, da hält sie mich fest. "Wo du schon einmal hier bist", sagt sie, "kannst du auch bei unserem Plan mitwirken." Einen Scheiß mache ich für dich! "Pass auf: Gwen wird jeden Moment hier sein. Wir werden sie und die Kerze zum Garm-Tor bringen. Dort wird Loki dann seine gesamte Macht erlangen. Das wird der erste Triumph! Gwen und ihre Geraldine werden vereint, aber nicht für lange. Und dann werden sie beide sterben. Der nächste Triumph." Vivian's Augen strahlen voll boshafter Freude.

Sie ist gerissen, aber vollkommen unbedacht. "Und du glaubst, Gwen hat keinen Plan? Die kommt doch nicht einfach her, ohne irgendwas auszuhecken. Immerhin ist sie Nike's Champion."

Vivian zuckt die Schultern. "Alles, was sie versucht, wir scheitern. Das schwöre ich dir."

"Schwöre nichts, was du nicht halten kannst. Das wird sich rächen", gebe ich kalt zurück. Gwen hat einen Plan. Und der ist gar nicht so bekloppt. Aber das muss diese Bratze hier ja nicht erfahren. Soll sie nur scheitern. Dann wird Loki ja sehen, dass die nichts taugt. "Was ist meine Aufgabe?"

"Du wirst Gwen den Weg abschneiden, falls sie doch entkommt. Du tötest sie nicht, aber du verwundest sie. Du wirst den Wald absuchen, ob jemand ihr hilft. Kann ja sein, dass ihre 'Freunde' dabei sind."

Ich nicke. Schmink dir das ab. Ich tu, was ich will. Dann mache ich mich auf den Weg zu meinem Vater. Als ich das Haus verlasse, höre ich, wie Gwen herade ankommt. Viel Zeit hab ich nicht. Lautlos husche ich durch die Schatten. Loki steht dort, die eine Hälfte seines Gesichtes wunderschön, die andere hässlich und verbrannt. "Dad?", flüster ich.

Sein Kopf ruckt zu mir. "Claire? Du bist wach?"

Ich gehe auf ihn zu. "Ja, Gwen hat mich geweckt. Sie wissen es, Dad. Ich bin aufgeflogen."

Loki starrt mich ungläubig an. "Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Dann kannst du wenigstens bei der letzten Schlacht dabei sein." Sein Blick wird weicher, besorgter. "Was ist mit Will?", fragt er leise.

Ich schüttel den Kopf. "Er hasst mich. Es tut weh."

Loki zieht mich kurz in seine Umarmung. "Ich bin für dich da, kleiner Drache. Immer." Dann lässt er mich los. Ich trete zurück in den Schatten, verschmelze mit ihm.

Es geht los. Gwen und die Kerze kommen.

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