Die Wahrheit

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Gwen (PoV)

Ich starre das Halbblut minutenlang an. Was will sie? Wovon spricht sie? Bei dem Tod von Logans Schwester und Mutter dabei gewesen sein? Wie soll das gehen? In meinem Hirn rattern die Fragen und wäre es möglich, so würde wohl Rauch aufsteigen. Aber sie kommt näher, hält mir ihre Hand hin und lächelt. Dieses Lächeln ist mir so vertraut und kurz fühle ich mich in eine Zeit versetzt, in der sie und ich noch auf eine Schule gingen. Es war unglaublich, was ich in dieser nicht wusste, jetzt aber ans Licht kam. Es fühlt sich falsch an, in der Vergangenheit anderer zu schnüffeln,  aber Claire hatte selbst gesagt, dass sie es will. Ich werfe Logan einen kurzen Blick zu, dann ergreife ich zögernd ihre Hand. 

Sofort strömen Bilder, Filmsequenzen, Ausschnitte aus ihrem Leben auf mich ein. Es fängt bei jüngsten Erfahrungen an, wie sie Will kennenlernt und sich in ihn verliebt.  Ich spüre das bedingungslose Vertrauen in ihn. Es lässt mich lächeln. Dann ändern sich die Bilder, Claire scheint mich durch ihre Vergangenheit zu führen. Ich sehe Loki oder zumindest jemanden, der ihm ähnlich sieht. Denn erst jetzt verstehe ich, weshalb sie ihm so nahe steht. Ich sehe, wie Loki mit seiner kleinen Tochter im Arm spazieren geht, wie er ihr lesen und schreiben beibringt, wie er dabei hilft mit Waffen umzugehen, wie er sie herumwirbelt, wie er sie tröstet, wie er ihr jedes Jahr etwas zum Geburtstag schenkt, wie sie gemeinsam auf Motorrädern durch die Nacht fahren, wie sie gemeinsam Sternenbilder anschauen. Ich lerne eine Seite kennen, von der ich nie gedacht hätte, dass es sie gibt: Loki's liebende und väterliche Facette. Dann wird Loki verdrängt von etwas anderem und die vorher so friedliche Atmosphäre wird dunkel.

Jetzt wird mir auch klar, dass sie als Halbblut stärker ist. Ihr Geist strahlt etwas aus, dass Kraft gibt und alleine das lässt mich erschaudern. Claire leitet mich sanft durch ihre Kämpfe und es ist erschreckend, mit welcher Leichtigkeit sie getötet hat. Gleichzeitig spüre ich ihren Hass Vivian gegenüber und das erheitert mich auf eine kuriose Art und Weise.  

Es ist merkwürdig, wie sehr sie das Schnittermädchen ablehnt und es wird auch schnell deutlich, weshalb sie das tut. Vivian hat mehr und mehr Claire's Platz eingenommen und das scheint der Halbgöttin alles andere als recht zu sein. Langam steigt in mir das Gefühl auf, dass Claire mir zeigen will, dass sie nicht die ist, für die wir sie halten. Sie ist nicht durch und durch das Schnittermädchen, das sich Loki und seiner Weltherrschaft verschrieben hat, sondern viel eher nur ihren Vater in ihm sucht, den jedes andere Kind auch haben will. Es lässt in einem anderen Licht erstrahlen und es lässt mich schuldig fühlen, das wir sie wie Abschaum behandelt haben. Nach dieser Sache hier wird es auf alle Fälle Zeit, sich zu entschuldigen.

Dann spüre ich förmlich wie die leitende Hand mich verlässt, sich jetzt an meine Fersen heftet und ich weiter suchen muss. Nochmals gehe ich ihre Kämpfe durch und schlussendlich blitzt auch Logan's Gesicht auf. Ich halte an, lasse die Szene an mir vorbei laufen. Es ist schrecklich was ich zu sehen bekomme. Natürlich kannte ich die Geschichte, immerhin hatte Logan sie mir erzählt. Aber das aus den Augen der Mörder zu erleben ist scheußlich. Gut, Claire hat keinen umgebracht, aber es ist ganz kar, dass alle auf ihr Kommando hören. Sie sieht aus wie ein Kind, aber sie ist keines mehr. Der Genuss, den sie bei dem Anblick von Blut verspürt, ist ekelerregend. Aber die Erinnerung ist klar und deutlich zu sehen, es ist mir schleierhaft, weshalb das Halbblut selbst nichts mehr davon weiß. Ob davor etwas passiert ist? Ich ziehe Claire in die Zeit kurz davor, und tatsächlich flößen sie ihr etwas ein, was sie kurz darauf kampfbereit macht. Es schockiert mich. Kinder sollten nicht töten wollen. Das ist widerlich.

Mir wird wieder klar, dass ich aufhören solte zu schnüffeln, aber Claire scheint noch etws vorzuhaben. Es ist unglaublich, welche Macht ihr Geist hat und wozu se mich zwingen kann. Es blitzen Bilder von ihr und Brian auf. Und letzterer ist ein wahrer Goldschatz als Bruder. Er steht eindeutig nicht auf Loki's Seit, sondern war nur für seine Halbschwester da, wenn sie ihn brauchte und wie ich sehe, war das sehr häufig.

Erst jetzt entlässt sie mich und ich kann meine Augen wieder öffnen. Es dauert eine ganze Weile, bis ich eine klare Sicht habe und schmiege mich instinktiv in die Arme, die mich halten. Es ist unverkennbar Logan, der mich festhält und je mehr ich zu mir komme, desto deutlicher spüre ich besorgte Blicke auf mir liegen. Verwundert sehe ich sie der Reihe nach an. "Ist was?", krächze ich.

Zu meiner Verwunderung höre ich ein Schluchzen neben mir. Ich drehe den Kopf und meine Augen weiten sich vor Erstaunen. Claire, die schöne, starke Claire, liegt in Will's Armen und weint bitterlich. Ihr ganzer Körper zuckt und bebt unter den Tränen. Der Wendigo hält sie, murmelt Worte, die ih nicht verstehe und scheint sie beruhigen zu wollen. Brian beißt sich auf die Lippe und scheint irgendwas zu fürchten. Er spricht leise mit Olli, der ihm dann einen Kuss auf die Lippen drückt.

Und der Rest sieht mich an. "Du bist fast zusammengebrochen und Claire hat irgendwann aufgeschrien und angefangen unkontrolliert zu zucken, als hätte sie furchtbare Schmerzen. Wenn Will sie und Logan dich nicht gehalten hätte, dann...", Daphne ließ den Satz unbeendet. Sie trat näher und sieht mich noch immer besorgt an. "Was ist passiert?", fragt sie mich und sieht mich eindringlich an. Pinke Funken sprühen aus ihren Fingerspitzen und ich frage mich wirklich, ob Carson sie spürt, immerhin hält er ihre Hand.

"Sie war da", antworte ich schlicht, aber laut genug, damit sie es alle hören. Brian versteift sich augenblicklich und seine Miene verfinstert sich. Logan hinter mir seufzt leise, aber ich kann nicht deuten, weshalb. Es könnte so vieles bedeuten.

Claire löst sich ein wenig von Will, hält sich aber noch immer an ihm fest. Auch er lässt sie nicht los, streicht ihr durch die Haare und küsst ihr eine der Tränen weg. Diese Geste ist so unglaublich süß, dass sie mich lächeln lässt. "Es tut mir leid, Logan. Wirklich. Das holt sie nicht zurück, ich weiß. Und ich verstehe, wenn du mich jetzt hasst. Es wäre okay. Aber du sollst wissen, dass es mir leid tut", sagt sie. Ihre Stimme zittert, aber dennoch kann man die Ehrlichkeit heraushören.

Ich drehe mich in den Armen meines Freundes um und trecke mich ein bisschen. "Sie haben ihr etas gegeben, damit sie es tut", wispere ich ihm zu, ehe er irgendwas sagen kann. Er muss das wissen.

Logan sieht mich lange schweigend an, nickt dann aber, ehe er die Stimme erhebt. "Ich hasse dich nicht. Gib mir nur Zeit", bittet er.

Die Halbgöttin sieht ihn erstaunt an, lächelt dann aber. "Klar, danke", bringt sie hervor. Brian gibt beinahe synchon dazu einen erleichterten Laut von sich.

Will lächelt auch kurz, küsst Claire kurz und vorsichtig und wendet sich dann seinem besten Freund zu. "Können wir unter vier Augen sprechen?", fragt er ihn. Nachdem sich Logn versichert hat, dass es mir gut geht, nickt er und die beiden Jungs verschwinden. Claire sieht ihnen nach, bis Brian neben ihr stehte und ihre Aufmerksamkeit uf sich zieht. Er, sie und Olli beginnen miteinander zu sprechen und nach einer Weile gesellen sich Daphne und Carson dazu.

Obwohl ich mich eigentlich auch dazu gesellen will, spüre ich, dass Gandma noch etwas zu mir sagen möchte. Also wende ich mich ihr zu. "Was machen wir jetzt nur mit ihr?", seufze ich.

Grandma lächelt auf ihre weise Art. "Was könntet ihr denn tun?", fragt sie.

Ich überlege kurz. "Eigentlich müssten wir sie dem Pantheon übergeben. Zumindest ist das Nike's Wunsch. Und als ihr Champion sollte ich mich daran halten."

"Und wieso sagst du dann eigentlich, Süße?"

"Weil ich es eigentlich nicht will. Sie scheint Loki nicht untertänig zu sein, sondern viel eher nur auf der Suche nach ihrem Vater."

Grandma nickt und lächelt. "Sprich doch mal mit Nike. Vielleicht kannst du ja etwas bewegen", schlägt sie dann vo und kurz gleitet ihr Blick ins Abwesende.

Ich frage mich autmatisch, was sie gesehen hat, aber sie wird es mir so oder so nicht jetzt erzählen. "Ich kann es ja versuchen", meine ich und drücke Grandma dann an mich. Ihr Duft ist so beruhigend nach dem, was ich herausgefunden habe und ich bleibe mehrere Minuten so mit ihr stehen.


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