Ankunft

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Die Welt war grausam. Sie war es schon immer und sie würde es wohl auch immer bleiben. Warum sonst sollten sich die Menschen dermaßen abhetzen und möglichst viel erleben, bevor ihr Lebensende da war? Sie kannten keinen Genuss, wussten nicht, wie man wirklich träumte, und erst recht verstanden sie nicht, dass es viel wichtigeres als ihr eigenes Leben oder die eigenen Erfolge gab. Es brachte ihnen aber auch niemand bei. Sie lebten blind für das Schöne in ihrem Alltagstrott, empfanden schon eine Reise nach China als furchtbar erzählenswert und versuchten stets einander zu übertrumpfen. Arme Menschen, man könnte beinahe Mitleid mit ihnen haben.

Dennoch beneidete ich sie. In ihrem Denken waren Götter nur Mythen, Amazonen und Wikinger Geschichten, Greife und Fenriswölfe Sagengestalten. Sie mochten vielleicht an einen Gott glauben, einige sogar an mehrere, andere wiederum an keinen - doch keiner von ihnen kannte die Wahrheit. Und sie würden es auch nie. Deshalb beneidete ich sie. Wenn man ein Mensch war, dann war alles so furchtbar einfach zu erklären.

Aber so war die Realität eben nicht. Die war hart und schmerzhaft, kannte nun einmal keine Gnade. Da musste man durch, auch wenn die Wahrheit nicht gerade rosig aussah. Wir standen kurz vor einem Krieg. Und damit meine ich keine einzelne Schlacht fernab der Menschheit. Nein, es würde direkt unter ihnen stattfinden, mit ihnen sogar. Jeder würde eine Marionette in diesem abgekaterten Spiel werden, aber keiner würde etwas dagegen können. Das würden die Götter nicht zulassen.

Ihre Champions und Krieger würden sich bis aufs Blut zerfetzen, schwere Traumata davon tragen und es würde keinen von ihnen scheren, solange sie nur gewannen. Das waren die Götter. Jene gewaltsamen und grausamen Wesen, die die Erde erschaffen und ein Volk als Anhängerschaft um sich versammelt hatten. Zahlreiche Mythen, unzählige Sagen - das alles entsprach der Wahrheit.

Selbst Wesen wie Halbblute gab es. Kaum einer glaubte an uns, aber wir waren unter ihnen. Ständig lebten wir in der Angst aufzufliegen und dadurch dem Tode geweiht zu werden. Unsere Existenz würde geleugnet, doch das Pantheon jagte uns trotzdem. Und die wenigsten in ihren Reihen wussten, was sie wirklich mit uns taten. Offiziell tötete man uns einfach, aber so lief es nicht. Es war grausamer. Weil die Erde eben ein trostloser Ort war.

Weshalb mein Vater mich dennoch hier gelassen hatte, das ist mir ein Rätsel. Bis zu meinem 13. Lebensjahr wusste nicht einmal ich selbst, welche Macht in meinem Blut lag. Die Träume hatte ich zwar schon immer, aber erst später erfuhr ich, dass es viel eher Erscheinungen waren. Es war der Weg meines Vaters, mit mir zu kommunizieren. Wie genau er das machte, das blieb mir verborgen. Aber er erklärte mir einiges, brachte mir noch viel mehr bei und bildete mich zu einer nahezu perfekten Kriegerin aus.
Ich hatte nicht sofort begriffen, was mit mir passierte. Anfangs glaubte ich wirklich, diese Träume wären nicht real und das harte Training dort nur symbolisch gemeint. Aufgefallen war es mir erst, als ich den Sportunterricht als viel zu leicht empfand. Egal, wie viele Runden ich laufen oder welche Gewichte ich heben sollte, es gelang mir mühelos. Turnen stellte keine Selbstverletzung mehr dar, sondern wurde zu wahrer Kunst. Von dort an setzt ich das Training in meinem Träumen auch in der Realität um.

Jahrelang funktionierte das so. Selbst die Waffen, die ich nutzte, schienen keinem aufzufallen. Und dann eröffnete Loki mir, was noch in meinem Blut lag. Nicht nur, dass ich halb göttlich war und demnach ein Leben wie aus einer anderen Welt führen sollte. Er nannte meine Mutter eine Hexe, eine Blutmagierin. Es hörte sich eher nach einer Beleidigung an, aber das war es nicht. Er konnte mir diese Kunst nur rudimentär beibringen und ich mochte sie auch nicht. Viel lieber blieb ich bei echten Waffen oder der Magie, die ich aufgrund seiner Gene inne hatte. Es reichte mir auch vollkommen aus.

Mittlerweile bin ich fast 17 Jahre alt. Wie viele Leben meinetwegen beendet wurden, das wage ich gar nicht erst zu zählen. Töten hatte mich nie gestört, obgleich ich die Motive meines Vaters ein wenig bedenklich fand. Aber er war stolz auf mich, solange ich es tat - was also sollte ich sonst machen?
Ich mochte vielleicht rebellisch und draufgängerisch sein, trotzdem war ich die Tochter meines Vaters und so wollte ich ihn stolz machen. Was immer meine Aufgabe war, ich erfüllte sie ohne Zögern. Sicher, ich hinterfragte das meiste doch, immerhin galt Loki nicht gerade als besonders gut gesinnt. Und sein Plan, die Weltherrschaft zu übernehmen grenzte stark an die Idee eines komplett durchgeknallten Idioten. Weshalb genau ich ihn unterstützte, war mir selbst auch ein Rätsel. Vermutlich nur, weil ich ihn stolz machen wollte.

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