Gefangen

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Claire

Ich wusste nicht genau, was die nächsten Tage bringen würden, aber ich war mir sicher, dass Will bei mir bleiben würde. Und so war es auch, er wich nicht eine Sekunde von meiner Seite, egal wo ich hinging. Und sie alle hüteten das Geheimnis, dass ich das gesuchte Halbblut war.
Gwen hatte sogar versucht mit Nike zu sprechen, aber die Göttin zeigte sich nicht sonderlich gesprächsbereit. Aber etwas anderes hatte ich auch ehrlich gesagt gar nicht erwartet. Sie mochte mich nicht, da war es normal, dass sie nicht mit sich reden ließ.

Gerade hockte ich mit Will zusammen unter der Eiche. Ich mochte diesen Ort merkwürdigerweise ziemlich gerne, dabei war meine Bindung zu Demeter eher schlecht als recht.
Mein Wendigo lehnte mit geschlossenen Augen am Stamm und hatte einen Arm um mich geschlungen. Meine Beine waren über die seinen gelegt, mein Kopf ruhte an seiner Brust und unsere Finger waren miteinander verflochten. So konnte bis in alle Ewigkeit bleiben.

"Claire", brüllte plötzlich jemand meinen Namen und ich blickte erschrocken auf. Was war denn nun los?
Brian kam über den Campus gerannt und seine Miene verriet mir, dass es nichts Gutes war. "Was ist?", fragte ich alarmiert und blickte ihm besorgt entgegen.
"Du musst hier weg. Das Protektorat weiß bescheid und sie werden dich dem Gericht der Götter übergeben, wenn du nicht abhaust", japste er und zog mich auf die Beine. "Komm schnell. Du musst Dessy rufen!"

Aber ich bewegte mich nicht. Irgendwer hatte mich verraten. Irgendwer, der wusste, wer ich war, und das konnte nur jemand von meinem neuen Freundeskreis sein. Olli und Gwen traute ich das nicht zu, Logan würde das Will nicht antun und Brian fiel auch definitiv raus. Blieben Carson und Daphne, wobei ich auch den beiden das nicht zutrauen würde. Daphne und ich waren zwar nicht sonderlich befreundet, aber wir hatten uns arrangiert und kamen irgendwie miteinander aus. Und Carson war viel zu lieb.
"Alexei", wisperte ich. Der Bogatyr war der einzige, der es wusste und der ein Interesse daran haben könnte mir zu schaden - um Brian loszuwerden.
"Keine Ahnung, ist auch egal. Jetzt komm schon", bettelte mein Bruder und zog an meinem Arm.
"Zu spät", flüsterte Will, der sich ebenfalls erhoben hatte und nun nach meiner Hand griff. Ich drückte sie und lehnte mich an ihn. Er hatte recht, die Protektoratsmitglieder waren bereits auf dem Weg zu uns.
Anstatt wegzulaufen, wie es besser wäre, wandte ich mich an Will. "Egal, was passiert, du darfst niemals vergessen, dass mein Herz nur für dich schlägt", sagte ich und schlang meine Arme um seinen Hals, ehe ich ihn mit aller Kraft küsste. Alles, was ich fühlte, legte ich in die Berührung unserer Lippen. Hoffentlich verstand er, wie sehr ich ihn liebte und was er mir bedeutete. Ich hatte nicht viel Zeit, ihm das jetzt alles zu sagen, also musste er jetzt so verstehen.
Als ich fast dachte, sie würden uns doch nicht trennen, wurde ich unsanft zurückgezogen und von Will getrennt. Logans Vater stand mir gegenüber und in seinen Augen loderte ungebändigter Hass. "So, du Loki-Brut, jetzt geht's für dich zu den Göttern", sagte er gehässig. In meinem Rücken spürte ich eine Schwertspitze, die mich jederzeit erdolchen könnte. "Abführen", befahl er und lächelte mich abfällig.
Ich schrie auf, begann mich zu wehren und sammelte meine göttliche Kraft. Meine Augen glühten schnitterrot und meine Sicht wurde durch Wut verzerrt. Alles, was ich wollte, war töten und mich in Sicherheit bringen. "Vater, hilf mir!", schrie ich gen Himmel, ohne jedoch Hilfe zu erwarten. Wie wild trat und schlug ich um mich, bis ich schließlich eine Nadel fühlte, die meine Haut durchstach. Kurz danach wurde mir schwarz vor Augen. Ich hörte Will aufschreien, aber ich bekam nicht mehr mit, was weiter passierte.

Einige Wochen später saß ich in einer Art Zelle und starrte vor mich hin. Die Götter hatten mein Urteil längst gefällt und so wartete ich eigentlich nur darauf, dass sie kamen und mich töteten. Es wurde eigentlich bald Zeit. Mittlerweile wollte ich auch gar nicht mehr leben.

Ich hatte gespürt, wie mein Herz zerbrach. Es war so qualvoll gewesen, dass ich die Erlösung nun herbei sehnte. Will hatte sich gegen mich gewandt. Wer sie war, das wusste ich nicht. Aber er hatte meine Liebe verraten und nun war ich dem Tode geweiht.
Die Nächte über schrie und weinte ich, während ich bei Tageslicht einfach nur dasaß und wartete.

Heute sollte mein Warten ein Ende finden. Die Tür ging auf und die Gorgonen traten zu mir. "Es ist soweit, mein Kind. Jede Hoffnung ist nun für dich verloren", sagte eine von ihnen sanft und streckte ihre Hand nach mir aus. Ich wusste, es würde erlösend sein und friedvoll. Sie töten niemals unter Schmerzen.
Ich erhob meinen geschwächten Körper und nahm ihre Hand. Und während wir uns an den Händen hielten, entzog sie mir die letzte Energie, die noch in mir wohnte. Es tat nicht weh, es erlöste mich von meinen Qualen. Zu sterben war angenehm und ich lächelte, bevor ich die Augen schloss und mich wohl in Walhalla wiederfand. Wo immer ich nun war, es war so wunderschön hier.

Meinen Tod hieß ich willkommen. Und er mich.

Brian

Ich weinte seit Tagen nur noch. Sie hatten mir meine Claire genommen und ich hatte nichts dagegen tun können. Jetzt saß ich an ihrem Grab und legte Blumen darauf ab. Die anderen waren mit dem Krieg beschäftigt, aber das war mir egal. Ich wollte meine Schwester zurück und ich ertrug den Schmerz über ihren Verlust nur sehr schwer. Obwohl Olli mir eine ziemliche Stütze war, ich war doch nur ein Mensch, der nebenbei auch noch mit einem mordenden Halbblut verwandt war. Diese Welt war nicht meine und ich gehörte nicht dorthin. Ich gehörte nicht in Olli's Welt. Ich tat es nie und würde es nie. Er sah das zwar anders, aber er log sich damit nur selbst etwas vor. Die Götter würden mich niemals akzeptieren.

Also saß ich an dem Grab meiner Schwester und weinte. Erst, als eine Hand sich auf meine Schulter legte, hob ich den Kopf. Eine wunderschöne Frau stand mir gegenüber und sie lächelte mich so warmherzig an, dass ich das Bedürfnis hatte, mich in ihre Arme zu werfen. "Du kannst sie zurückholen", wisperte sie.
Verwundert sah ich die Frau an. Sie trug eine weise Robe und ihr Haar schimmerte schwarz wie die Nacht. "Was?", fragte ich, stand auf und wischte mir eine Träne weg.
"Ihr Blut war nicht so mächtig, weil es zur Hälfte göttlich war. Ihr beide, sie und du, ihr stammt von einer Magierin ab, die euch niemals etwas hat beibringen können."
Verwirrt blickte ich sie an. War das ihr Ernst? Ich sollte ebenso wie Claire die Blutmagie beherrschen können? "Wer bist du?", fragte ich und musterte sie. Fest stand, sie war nicht menschlich. Eher glich sie einer Göttin. Wie sich herausstellte, war sie das auch.
"Mysthea, Göttin der Magie und der Zauberei", stellte sie sich vor und ihre Stimme hallte wieder, klang so mächtig, dass ich mich dem Drang widersetzen musste, mich zu ducken. "Und du, mein Lieber", fuhr sie sanfter weiter, "du wirst von nun an von mir lernen."

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