Logan's Erinnerung

369 20 0
                                    

Logan (POV)

Dieses Halbblut-Schnitter-Ding geht mir langsam auf die Nerven. Was mischt sie sich denn jetzt in die Situation zwischen Will und mir ein? Das kann ihr doch egal sein, ob ich ihn vor die Wahl stelle oder nicht. Das ein Problem von Will und nicht von ihr. Nur weil sie halb göttlich ist, heißt doch noch lange nicht, dass sie sich in alles einmischen darf. Aber gut, jetzt weiß sie immerhin, woher mein Hass kommt. Verdammt, das darf nicht wahr sein. Die Bilder, die ich vergessen wollte, kehren in meinen Geist zurück.

*Flashback*

In meiner Hand halte ich ein kleines Spielzeugschwert und schwinge es herum. Dabei sehe ich vor mir die Gestalten von nicht anwesenden Schnittern. In meinen Träumen bin ich ein Held, denn ich rette jeden vor ihnen, der mir lieb und teuer ist. Ich schlage die Schnitter in die Flucht. Ein Glücksgefühl durchströmt mich. 

Und dann sehe ich die dunklen Roben wirklich vor mir. Sie klettern über die Steinmauer nahe dem Waldrand. Furcht macht sich in mir breit. Zuerst stehe ich wie versteinert da. Ihre Gesichter sind so gut wie verdeckt. Zwischen den großen, kräftigen Gestalten läuft eine Kleine. Es ist ein Mädchen, dass nicht älter als ich sein kann. Trotzdem wirkt sie sehr viel älter und mächtiger. Ihr Gesicht hat nichts kindliches mehr und mir fällt auf, dass sie kein Speck sondern Muskeln hat. Der kleine Körper ist durchtrainiert und gestählt. Ihre knallroten Haare wehen in Wind und ihre Augen funkeln in einem bösen Eisblau. Doch nicht dieses Eisblau lässt sie böse erscheinen, sondern die roten Sprenkel. Es wirkt, als seien ihre Augen zerbrochen und würden bluten. Auf unheimliche Weise sind diese Augen verdammt fesselnd. Die Stimme des Mädchens lässt mich aus meiner Trance erwachen. „Los jetzt. Verschont keinen, der drinnen ist.“ Sie sagt es leise, aber ich höre es trotzdem.

Schnell wirbel ich herum und renne ins Haus zurück. Ich muss meine Mutter warnen. Wir müssen hier weg! Angst überkommt mich. Angst, dass wir alle sterben. Angst, dass die Schnitter uns bestehlen würden. Ich renne schneller, werfe einen Blick über meine Schulter. Die Schnitter scheinen es nicht eilig zu haben, sie schleichen voran. 

Durch die Hintertür fliehe in das Haus. „Mom!“, schreie ich. „Mom!“ Panik überwältigt mich. Meine Mutter eilt zu mir. „Was ist, mein Schatz?“ Sie sieht mich besorgt an und schlingt ihre schlanken um meinen Körper. „Die Schnitter, sie sind hier. Und bei ihnen ist ein kleines Mädchen“, erkläre ich ihr. Meine Mutter sieht mich an. Meine Schwester kommt ebenfalls. Draußen huschen schwarze Roben umher. „Lauft! Versteckt euch! Sie dürfen euch nicht finden!“

„Nein, Mom, ich bleibe!“ Meine Schwester stellt sich neben sie. In diesem Monet dringen die Schnitter in unser Haus vor. Mom kann nicht mehr mit meiner Schwester diskutieren. Also schreit sie nur mir zu: „Lauf, Logan. Bring dich in Sicherheit. Wir kommen nach!“ Ich weiß, dass sie lügt. Die beiden würden nicht nachkommen. Sie würden das hier nicht überleben, sie würden sterben. Wenn ich nicht bleibe, dann verliere ich sie. Wo ist nur mein Vater? Der erste Aufschrei ertönt und mit schreckgeweiteten Augen beobachte ich, wie meiner Schwester das Blut über den Arm läuft. Sie wirft mir einen Blick zu. „Lauf, Logan! Wir halten sie auf!“ Ihre Worte lassen mich herumwirbeln und weglaufen. Tiefer und tiefer renne ich in unserem Haus. Immer wieder dringen Schreie an meine Ohren und die ganze Zeit laufen mir Tränen über das Gesicht. „Ich muss hier weg!“, denke ich immer wieder. Mein Puls ist auf 180 und mein Atem geht schnell und flach. Innerlich zitter ich ohne Ende und so laufe ich weiter und weiter. Bis ich mich schließlich in einem großen Schrank verstecke. Ich zwänge mich hinter die Kleidung und halte mein Spielzeugschwert fest umschlossen. Die ganze Zeit höre ich Schmerzensschreie und jeder einzelner lässt meine Furcht wachsen. Ich weiß, dass ich meine Familie verlieren werde. Und ich hasse mich dafür, hier im Schrank zu sitzen und zu heulen. Aber meine Angst ist zu groß, als das ich herausklettern und kämpfen könnte. „Du bist ein Feigling, Logan Quinn!“, sage ich leise zu mir selbst. Die Schreie sind verstummt. Überhaupt höre ich gar nichts mehr. Ich will gerade die Schranktür öffnen, da dringt eine Stimme zu mir durch. „Wo ist der Junge?“ Es muss das kleine Mädchen sein, das spricht. Die Stimme klingt hell und klar. Eine männliche Stimme antwortet ihr. „Keine Ahnung, Claire. Sollen wir ihn suchen?“

Kurze Pause. „Wenn wir ihn finden, gut. Wenn nicht, auch nicht schlimm. Aber tötet ihn nicht. Er könnte von Nutzen sein.“ Wieder die helle Stimme. Das muss Claire sein, das kleine Mädchen mit den roten Haaren und eisblauen Augen. Warum spricht sie so erwachsen? Ist sie die Anführerin? Mein Puls schlägt höher als sowieso schon. Lass sie mich nicht finden! Ich höre federleichte, kleine Schritte. Das Mädchen ist hier in dem Zimmer, wo ich bin. Sie scheint etwas zu suchen. Ich hoffe, sie öffnet die Schranktür nicht. Tut sie nicht. Irgendwann verlässt sie das Zimmer wieder. Nachdem ich gefühlte Stunden nichts mehr wahrnehme, klettere ich aus dem Schrank und suche meine Mutter und meine Schwester. Ich laufe den Weg zurück, den ich hergekommen bin. An den Wänden und auf dem Boden ist Blut. Überall Blut. Einige Schnitterleichen liegen herum und ihr Anblick lässt mich würgen. Ich betrete den nächsten Raum und breche in den nächsten Weinkrampf aus. Dort liegen meine Mutter und meine Schwester. „NEIN!“, schreie ich. Ich renne zu den leblosen Körpern und starre sie ungläubig an. „Das ist ein Traum. Das ist ein Traum. Bitte, lass es ein Traum sein!“ Wie eine Mantra sage ich die Sätze. Pure Verzweiflung macht sich in mir breit. Ich sinke zwischen den Körpern zu Boden und verschränke meine Hand mit der meiner Schwester. Dann schmiege ich mich an meine Mutter und vergrabe mein Gesicht in ihrem Haar. Sie waren so tapfer und mutig. Nicht wie ich. Ich weine und Trauer überflutet mein Herz.“

*FlashbackEnde*

Scheiße, selbst jetzt dringen wieder Tränen in meine Augen. Ich hatte mir geschworen, alles und jeden zu beschützen, den ich liebte. Stelle ich Will deshalb vor die Wahl? Weil ich ihn anders nicht beschützen kann? Ist es nicht eigentlich feige, dass ich nicht versuche, mit Claire klarzukommen? Denn wenn sie wirklich nichts mehr von dem Tag weiß, dann hat sie sich eventuell geändert. Ich sollte ihr eine Chance geben. Außerdem, mein Gypsiemädchen scheint sie zu mögen und ihr zu vertrauen. Für sie würde ich mit Claire zurechtkommen. Und die knallroten Haare und eisblauen Augen mit den roten Sprenkeln ignorieren.

incredibleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt