Zusammenbruch

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Ich drehe mich zu Loki um und werfe ihm einen genervten Blick zu. Er sieht aus wie immer: schrecklich. Ich sollte definitiv mal mit ihm shoppen gehen, seine Kleidung ist kaum auszuhalten. Innerlich seufze ich.

„Was hast du Neues für mich?“, fragt er ein zweites Mal. Jetzt klingt seine Stimme jedoch gereizt.

„Eine Neuigkeit. Aber zuerst sagst du mir, was los ist. Hast du schlecht geschlafen, oder was?“

„Das geht dich nichts an!“, faucht Loki. „Sag mir, was du hast.“ 

„Nein. Erst du.“

„Was interessiert dich das? Es geht dich nicht immer alles an.“

„Du sagst mir, ich soll dir Informationen beschaffen. Aber ich muss dafür auch wissen, was in der Götterwelt abgeht. Wie soll ich dir denn sonst helfen, verdammt nochmal?!“

„Sag mir nicht, was ich erzählen muss! Es geht dich nichts an!“ Seine Stimme ist laut und wütend. Ich dagegen werde kalt und ruhig. „Achja? Dann geht dich meine Recherche auch nichts an.“ Loki kommt auf mich zu. Er zieht mich mit einer Hand zu sich und krallt seine Hand in mein Oberteil. Meine Füße verlassen den Boden. Das Gesicht meines Vaters schwebt direkt vor meinem. ‘Zeig ihm deine Angst nicht, Claire. Er nutzt es nur aus.‘ Seine Augen blitzen in einem zornigen Rot. Exakt die Farbe, die meine Sprenkel haben. Mein Herz schlägt höher und ich halte meinen Atem nur mit riesiger Kraft im Zaum. „Pass auf, du kleines Nichts: Du magst vielleicht meine Tochter sein. Und du stehst vielleicht auf meiner Seite. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass du mir etwas verheimlichst. Etwas, das dich auf die andere Seite stellen lässt. Soll ich dir sagen, was es ist?“

„Warum sollte ich so etwas haben? Was soll mich gegen dich wenden?“ Ich lache laut und kalt. Aber es ist reiner Schutz. Ich weiß, was er meint: Will Sailer. Der Kerl, den ich liebe. Und Liebe ist ein so starkes Band, das ich mich gegen meinen Vater stellen würde. Ich liebe nur eine einzige Person. Mein ganzes, beschissenes Leben lang. Und das ist Will Sailer. Der Kerl, dem ich gesagt habe, er bedeutet mir nichts. Ich weiß nicht, was passiert, wenn er nicht bei mir bleibt. Einige sollen sich umgebracht haben. Andere sollen zu schwarzen Mördern geworden sein. Ich will nicht wissen, was mit mir passieren wird. Loki’s Hand krallt sich in meine Haut. Ich kämpfe mit den Tränen. Aber nicht wegen dem Schmerz, den mein Vater mir zufügt, sondern wegen dem Schmerz, der sich in meinem Herzen staut.

„Du weißt genau, was ich meine. Besser gesagt, wen.“

„Wen?“

„Will Matoskah Sailer. Du liebst ihn.“

„Woher willst du das wissen?“ Wehe, du tust ihm etwas an! 

„Woher ich das weiß? Ich kenne dich. Wenn du ihn nicht liebst, dann hättest du ihn nicht meiner Illusion entzogen. Du hättest ihn Schmerzen ertragen lassen. Aber du hast ihm geholfen. Du liebst ihn. Verleugne das nicht!“ Seine Augen brennen sich in meine. Mich beschleicht das Gefühl, dass er ihn meine Seele sieht. Ich versuche, ihm standzuhalten. Es fällt mir schwer, aber ich schaffe es. Schließlich lässt Loki mich wieder auf den Boden. Sofort weiche ich zurück und bringe genug Abstand zwischen uns. Kurz sehe ich Schmerz in seinen Augen aufflackern. Aber dann ist da wieder die ungebändigte Wut. 

„Stimmt es? Liebst du ihn?“ Loki sieht mich durchdringend an. 

Ich nicke. „Ja, es stimmt.“

„Habe ich dir nicht gesagt, dass du nicht lieben sollst? Er wird dich verletzen und fallen lassen! Der Junge gehört tot!“

„Nein, töte ihn nicht! Bring mich um! Ich darf sowieso nicht existieren!“ Ich sehe ihn flehend an. „Bitte, Dad. Er kann doch nichts dafür. Er ist ein Mensch, er kennt meine Regeln nicht. Er weiß nicht, was er mir antut, er weiß nicht mal, dass ich ihn liebe!“ Tränen laufen mir von den Wangen. Der Schmerz, der sich ihn mein Herz frisst, ist unerträglich. Loki sieht mich nur an. Dann kommt er zögernd zu mir und nimmt mich in den Arm. Er hält mich nur fest und wiegt mich beruhigend hin und her. Er flüstert Worte in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Aber sie sind beruhigend. Es ist doch verständlich, dass ich meinen Dad lieb habe. Er kann noch so wütend und furchteinflößen ein, er ist immer für mich da und ist bei mir. Vielleicht ist er böser Gott, und vielleicht ist er grausam. Aber mir würde er nie etwas tun. Er würde stets zu meinem Besten handeln. Und dieses Wissen lässt mich auf seiner Seite stehen. 

„Brauchst du eine Pause?“, fragt er. Ich sehe ihn an. Dann nicke ich. „Gut, ich werde sie dir geben. Gib das in dein Getränk morgen früh.“ Loki drückt mir ein kleines Fläschchen in die Hand. „Schlaf gut, kleiner Drache.“ 

„Bis bald, Dad.“ Und dann steht Loki auf und verlässt mich. Die Zwischenwelt verblasst und ich sitze heulend und einsam in meinem kalten Zimmer. Ich ziehe mich um und verkrieche mich unter meiner Decke. Die ganze Zeit bis zum Einschlafen rinnen Tränen über mein Gesicht. Ich darf nicht lieben! Ich muss Will vergessen! Aber ich weiß, dass ich das nicht kann. Und nicht will.

Am nächsten Morgen habe ich gar keine Lust, aufzustehen und den Tag zu beginnen. Ich will nur liegen bleiben. Aber ich muss hoch. Ein Blick in den Spiegel, lässt mich aufstöhnen. Ich sehe aus, als hätte ich nichts anderes getan, als zu heulen. Und zwar die ganze beschissene Nacht über. „Das wird heute harte Arbeit, Claire.“ Ich wende mich meinem Schrank zu und ziehe einen weiten, schwarzen Pulli hervor und eine graue Röhrenjeans. Dazu schwarze Nike – Turnschuhe mit türkisen Blickfängen. Dann mache ich mich an mein Gesicht und versuche, halbwegs vernünftig auszusehen. Meine feuerroten Haare bürste ich notdürftig und verstecke den Großteil und der Kapuze meines Pullis. Ein weiterer Blick in den Spiegel: Ich sehe schrecklich bleich aus. Egal, mach ich heute eben auf krank. Dann stiefel ich los zum Speisesaal.

Ich achte nicht darauf, was ich nehme. Irgendwas landet auf meinem Teller, ohne dass ich es wahrnehme. Die kleine Flasche meines Vaters liegt in meiner Handtasche. Ich setzte mich in eine Ecke und sehe niemanden richtig an. Mein Blick ist gesenkt. Diese ganze Welt macht mich fertig. Nike, die mich suchen lässt. Gwen, die mir fälschlicher Weise vertraut. Olli, der mir unverdiente Freundschaft schenkt. Logan, der mich zu Recht hasst. Will, den ich liebe. Wieder laufen Tränen über meine Wangen. Ich schiebe mir einen Bissen nach dem anderen in den Mund und schmecke nichts. Ich greife in meine Tasche und ziehe das Fläschchen heraus. Langsam drehe ich es in meinen Händen. Dann öffne ich den Deckel und kippe die klare Flüssigkeit in mein Glas. Sie verändert sich nicht. Was das wohl ist? Mir egal, es wird mir eine Pause beschaffen, wie auch immer. Ich merke, wie Leute sich an meinen Tisch setzen und schaue auf. Gwen, Logan, Olli und – Will. „Guten Morgen!“, flötet Gwen. Ich lächel schwach und senke meinen Kopf wieder. „Alles in Ordnung?“, fragt Olli mich. Ich sehe ihn an. „Ja, klar“, sage ich. Dann schütte ich mein Getränk in einem Zug herunter. Wärme breitet sich in meinem Inneren aus und für einen Augenblick geht es mir wieder gut. Dann wird mir kotzübel. Ich presse meine Hände auf den Mund und springe auf. Ich komm jedoch keine paar Schritte weit, dann falle ich um und pralle auf dem Boden auf. Schwärze umfängt mich und ich spüre kaum noch etwas. Ich öffne noch ein Mal die Augen. Sehe als letztes Wills besorgten Augen. „Claire, was ist?“ Höre als letztes seine besorgte Stimme. Und spüre als letztes seine starken Arme, die mich hochheben.

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