𝚔𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 2.2

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3. März 9:13 Uhr, Highschool, Halcolne

Ich hatte mich beeilt, um rechtzeitig den Schulhof zu erreichen. Die Schüler waren allesamt bereits wieder im Gebäude verschwunden, um nicht zu spät zur nächsten Stunde zu erscheinen.

Während ich seelenruhig auf den Eingang zuging, fragte ich mich, wer wohl mein Verschwinden bemerkt hatte. Die Lehrer? Meine Feinde selbst? Oder irgendwelche anderen Schüler, die zwar neutral waren, sich jedoch trotzdem immer auf die Seite meiner Peiniger stellen würden?

Haben sie schon etwas unternommen? Mir hätte genauso gut etwas auf dem Schulweg passieren können. Aber wer interessierte sich schon dafür, was mit Alice Mayberry geschah? Solange sie nicht illegal dem Unterricht fernblieb, war doch alles in Ordnung. Je mehr Schaden sie davontrug, desto besser.

Bevor ich nun das Gebäude endgültig betrat und meinen lang ersehnten Plan endlich ausführen würde, sorgte ich dafür, dass mein Rucksack ganz eng an meinem Körper saß und ihn mir niemand ohne Weiteres entreißen konnte. Niemand respektierte sonst mein Privateigentum. Also würden sie auch heute nicht damit anfangen.

Die Kapuze zog ich über mein mausbraunes, dünnes Haar und öffnete nach einem tiefen Einatmen und dem letzten Sammeln meines Mutes die Eingangstür.

Ich achtete darauf, sie anschließend möglichst leise zu schließen, damit nicht alle direkt auf mich aufmerksam wurden. Sie würden heute noch genügend Aufmerksamkeit von mir erhalten.

Ich stakste die Treppen hinauf und hatte den Korridor erreicht, in dem sich mein Klassenzimmer befand. Doch bevor ich in den Gang biegen konnte, legte sich eine Hand auf meine Schulter und ich fuhr erschrocken herum, als hätte ich meinen Plan bereits ausgeführt. Glücklicherweise stand vor mir nicht die Polizei, dafür ein Helferlein des Teufels höchstpersönlich.

„Alice Mayberry? Du schockierst mich immer mehr." Vor mir stand meine Sportlehrerin. Eine der wenigen Personen, die weit oben im Ranking meiner Hassmenschen aufgelistet waren. Umgekehrt war es vermutlich nicht anders.

Ich musste ernsthaft dem Drang widerstehen. Dem Drang, sofort in meinen Rucksack zu langen und mein kleines Hilfsmittel hervorzuholen.

Stattdessen verließ ein kraftloses und kaum hörbares „Hallo" meine Lippen. Ich musste all meine Energie aufsparen. Wieso sollte ich sie auch vorab einweihen? Sie würde auch ihre Überraschung bekommen. Ein Stück meiner Überraschungstorte war allein für sie reserviert und ich hatte mir fest vorgenommen, dass sie es auch erhalten würde. Denn ich hielt meine Versprechen. Schließlich war ich kein Unmensch.

„Du weißt schon, dass die zweite Stunde bereits begonnen hat? Deine Klasse hat allerdings seit der ersten Stunde Unterricht? Wie willst du das denn bitte entschuldigen?"

Ich schluckte schwer und bemühte mich, so schwach und zurückhaltend wie immer zu sein. „Ich... Ich hab verschlafen. Entschuldigen Sie."

„Ich entschuldige gar nichts", erwiderte sie überheblich und starrte mir in die Augen. So eine Verbitterung und Leere habe ich selten im Blick anderer Menschen gesehen. Für gewöhnlich waren die Augen das Aushängeschild unserer Persönlichkeiten und wenn ich schon außen nicht viel erkennen konnte, wollte ich gar nicht erst herausfinden, wie wenig hinter diesen grauen Vorhängen steckte.

„Sei froh, dass du nicht bei mir im Unterricht bist. Da würdest du sicherlich nicht gut wegkommen. Denn ich bin konsequent und sorge dafür, dass anständiges Benehmen herrscht. Disziplin fängt bereits in den kleinsten Bereichen an und da gehört es eben auch dazu, dass..."

Ich richtete mich ein wenig auf und seufzte. „Dürfte ich dann ins Klassenzimmer gehen? Ich möchte nichts vom weiteren Unterricht verpassen."

Jetzt lachte diese abscheuliche Frau laut auf. Ich musste sie loswerden, sonst machte sie mir alles kaputt. „Du und Unterricht verpassen? Dich interessiert doch sonst nichts, was in dieser Schule passiert. Aber geh ruhig. Hoffentlich bekommst du deine Strafe, sonst sorge ich im Nachhinein dafür, dass du sie bekommst."

Ihre Absätze klackerten laut auf dem Boden, während über die Treppe, die nach unten führte, verschwand. Sehr wahrscheinlich holte sie sich im Lehrerzimmer Nachschub für ihre Kaffeetasse, allerdings war mir das im Moment egal. Es war nicht relevant für den ersten Teil meines Plans, den ich jetzt durchführen wollte.

Die Hauptsache war, dass mich niemand beobachtete. Aber ich machte mir darüber keine Sorgen. Ich musste mich nur beeilen, dann konnte mich auch keiner aufhalten.

Nach hastigen, kleinen Schritten stoppte ich vor der Tür des Klassenzimmers, aus dem bereits die anstrengende Stimme von Mr. Campbell ertönte. Einem weiteren Menschen, dem nichts als abgrundtiefer Hass gebührte.

„Alles wird gut", flüsterte ich mir selbst vor. Irgendwie würde ich das schon schaffen. Ich fand immer eine Lösung, hatte Sienna mal gesagt.

Naja. Das hatte sie sicherlich nicht mit Lösungsfindung gemeint. Doch sie war der letzte Mensch, den ich dafür verantwortlich machen würde. 

____𝚗𝚎𝚞𝚗𝚞𝚑𝚛𝚣𝚠𝚊𝚗𝚣𝚒𝚐.Where stories live. Discover now