40 | Das verzweifelte Nilpferd.

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┊┊WOODKID - I Love You┊┊

Verloren stapfe ich durch den puderzuckerweißen Schnee. Es ist mitten in der Nacht. Aber es ist Vollmond und durch den Schnee ist es nahezu taghell. Ich musste dieses Haus verlassen, musste in die Kälte. Ich musste mich spüren. Inzwischen bereue ich es sehr, dass ich mir nur die leichte Lederjacke angezogen habe. Mir ist arschkalt und der fallende Schnee tut sein Übriges.


Es ist komisch, denn ich weiß nicht, was ich fühlen soll. Einerseits bin ich irrsinnig erleichtert, dass ich die Wahrheit ausgesprochen habe und Daniel nun Bescheid weiß. Andererseits habe ich ihn verletzt und ihn von mir gestoßen und mit diesem beschissenen Deal einen rießigen Fehler gemacht. Er fehlt mir, aber ich stopfe mein Handy wieder in meine Hosentasche, das ich geistesabwesend hervorgeholt habe. Ich habe ihn schon fünfmal angerufen und ihm verzweifelte Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen. Es ist an ihm, sich zu melden. Und ich werde ihm Zeit lassen, so viel er braucht. Ich weiß, dass es mir das Herz brechen wird, wenn er sich nicht mehr meldet. Und ich weiß auch, dass die Chancen nicht schlecht stehen, dass ich es für immer verspielt habe.


Ich atme die frische, kalte Nachtluft ein, die sofort meine Lungen füllt und mich zum Husten bringt. Der nasse, kalte Schnee fällt auf mein Gesicht und schmilzt sofort, als er meine warme Haut berührt. Meine Haare sind inzwischen klatschnass und ich sollte dringend nach Hause, wenn ich nicht krank werden will. Aber es ist mir egal. Ich bin in dem Stadium in dem einem alles egal ist. In dem man - gefühlt - nichts mehr zu verlieren hat. Sicher, ich weiß, dass ich einiges zu verlieren habe. Aber ich möchte mich jetzt gerade nur dem Selbstmitleid und Selbsthass hingeben. Meine Hände zittern, als ich mir die Haare aus dem Gesicht wische. Ich lege den Kopf in den Nacken und spüre die sanften Berührungen des Schnees auf meiner Haut. Das Laufen durch den Schnee ist leider nicht ganz so elegant möglich, wie ich das gerne möchte. Im Gegenteil: Es ist leider doch etwas anstrengend. Dementsprechend viel muss ich atmen. Du bist sowas von aus der Kondition, du dämliches Nilpferd.


Mein Handy vibriert und schnell hole ich es aus meiner Tasche. Mein Herz springt mir in der Brust und ich hoffe so sehr, dass es Daniel ist. Aber ein Blick auf das Display sagt, dass es Ida ist, die mich anruft. Die mich nochmal anruft. Ich will nicht mit ihr sprechen, aber ich weiß, dass sie sonst vermutlich die Polizei ruft. Das könnte ich ihr auf jeden Fall zutrauen. Also hebe ich ab, sage aber nichts.

"Hannah?"

"Mh", antworte ich nur. Ich fühle mich zu ausgelaugt um überhaupt antworten zu können.

"Hannah, wo bist du? Wir machen uns Sorgen."

Ich zucke mit den Schultern.

"Hallo?"

Mir fällt ein, dass Ida das ja gar nicht sehen kann. "Keine Ahnung", antworte ich ihr.

"Guck auf ein Straßenschild und sag es durch. Wir holen dich ab."

"Wir?", erkundige ich mich und suche nach einem Straßenschild. Ich habe in der Tat keine Ahnung wo ich bin. Auch wenn ich gefühlt seit Stunden unterwegs bin, denke ich nicht, dass ich weit von zu Hause entfernt bin.

"Ja, Felix und ich."

"Aber heute ist Weihnachten. Ihr solltet bei eurer Familie sein."

"Tja, du auch, aber du bist ja auch unterwegs." Ich kann Ida grinsen hören. "Also, bist du fündig geworden?"

"Was? Fündig geworden?" Verwirrt blinzle ich. Wow, Hannah, du bist echt fertig.

"Schatz, ein Straßenname, wir brauchen einen verdammten Straßennamen."

Von Pizza & Badboys | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt