Prolog

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Die große Eiche über unseren Köpfen spendet etwas Schatten vor der glühenden Mittagshitze. Die Sonne brennt unerbärmlich auf meine längst rote Haut. Mein Kopf tut weh. Ich ertrage es kaum. Die Luft wirkt stickig, es fühlt sich an, als wäre beinahe jeder Atemzug dein letzter.

Betty links neben mir sieht das anders. Vollkommen anders und ich wünschte ich wäre nicht so sehr von mir selbst eingenommen, würde es schaffen mich mehr in ihre Lage hinein zu versetzten - in die meiner besten Freundin.

Ich versuche es, jeden Tag aufs Neue, doch ich scheitere immer wieder. Sie lässt mich nur bedingt an sich heran, sie will dass ich mein eigenes Leben lebe. Ihr selbst ist die Tatsache, dass sie eines Tages - früher oder später - gehen muss wohl um einiges bewusster als mir.

Für mich ist diese schweißtreibende Hitze, die frontal auf uns knallende Sonne und der kaum merkbare Schatten der Eiche über unseren Köpfen eine einzige Qual. Betty lächelt. Sie schließt die Augen, legt den Kopf in den Nacken und genießt das Gefühl von Freiheit. Jenes welches ihr sonst so oft verwehrt bleibt und nachdem sie sich teilweise von ganzen Herzen sehnt.

Ich tue es ihr gleich. Es wirkt erstickend, nieder drückend - die gleißende Hitze. Ich konnte den Sommer, diese nicht mehr endend wollende Wärme noch nie leiden.

Betty mag jede Jahreszeit. Den Frühling ganz besonders, weil dann alles zum Leben erwacht. In diesem Falle kann ich ihr nicht widersprechen. Wir sind beste Freundinnen, wir müssen ja auch irgendwelche Gemeinsamkeiten haben.

Unser Leben ist dennoch Grund verschieden. Momente wie diese bleiben uns oft verwehrt. Zu oft. Viel zu oft.

Betty lebt zwischen Krankenhaus, Therapie, Kur und unserem Baumhaus. Letzteres nehmen wir momentan in Beschlag. Mein Vater hat es für uns gebaut - extra nur für uns.

Ich bin nur hier wenn sie auch hier ist, weil ich mich sonst allein fühle. Ich erzähle ihr nichts davon, sie will nicht, dass ich mich zu abhängig mache.

Dafür ist es längst zu spät. Ich liebe dieses Mädchen da neben mir. Mit ihren vielen Sommersprossen und dem lilanen Kopftuch, mit den gelben Schmetterlingen, welches sie vor der Hitze und einem Sonnenbrand bewahren soll.

Meine Haare ebenfalls kurz rasiert. Sie soll nicht allein sein, mir ihrem kahlen Kopf, dessen wunderbar, glänzenden Haare bei einer der vielen Chemotherapien ausgefallen sind. Sie findet es lächerlich, meint sie würde auch als einziges Mädchen mir kurzen Haaren überleben.

Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Ich bin wohl diejenige die ein deutlich geringeres Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen besitzt. Dennoch kenne ich sie zu gut, als dass ich nicht weiß, dass sie innerlich doch unglaublich dankbar ist nicht allein mit einem lächerlichen Kopftuch durch die Gegend marschieren zu müssen.

Ich habe damit kein Problem. Auch nicht wenn sie nicht bei mir ist. Wenn sie im Krankenhaus ihre Zeit mit Therapien verbringt. Ich denke an sie, ständig. Hätte ich die Möglichkeit, ich würde sofort mir ihr tauschen. Ich verstehe nicht warum ausgerechnet ihr dieses Schicksal widerfahren muss.

Betty nimmt es als Geschenk Gottes. Ihre Krankheit? Ich lasse das jetzt mal in Frage gestellt.

Sie ist meine beste Freundin, doch sie ist auch mein Vorbild. Sie ist diejenige, die mir von Gott erzählt hat und es nach wie vor tut - jeden einzelnen Tag, diejenige die mit mir durch dick und dünn geht, diejenige die all meine Sorgen und Ängste kennt und vor allem ist sie diejenige, die mir all die schönen Seiten am Leben zeigt, in so unendlich vielen Momenten und das obwohl das ihre praktisch abgezählt ist. Ihr Leben, jeder einzelne Tag - sie gibt nicht auf. Sie lässt sich durch nichts und niemanden unterkriegen.

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