Challenge Nr. 4

59 16 2
                                    





Juni. Und für diesen Monat ist es definitiv um einiges zu heiß, vor allem wenn man bedenkt, dass ich im Schatten sitze, unter unserem Baumhaus auf einer Bank, ich kann mich nach wie vor nicht dazu durchringen die Strickleiter hinauf zu klettern, und trotzdem schwitze. Ganze Wasserfälle geradezu. Die Schweißschicht auf meiner Stirn bringt mich beinahe um, die Luft zum schneiden, einfach unerträglich. Vielleicht liegt es auch allgemein an meinem viel zu schwachen Kreislauf.

Eine Flasche Wasser steht neben mir, die ich in der letzten Stunde schon zur Hälfte gelehrt habe, zwar hasse ich es dadurch ständig aufs Klo rennen zu müssen, doch bin ich mir auch vollkommen bewusst, das sich dies in all den letzten Jahren als einzige Möglichkeit offenbart hat meinen Kreislauf irgendwie ein wenig in Schwung zu halten.

Ich bin müde. Ferien. Das macht es nicht besser, nicht wenn Betty nicht da ist. Noch vor einem Jahr haben wir jede unserer Ferien gemeinsam verbracht, wir saßen stundenlang im Baumhaus um zu reden, waren gemeinsam am Fluss baden, lagen auf der Lichtung im Wald, beobachteten Schmetterlinge, gingen gemeinsam spazieren, verbrachten ganze Tage in der Gemeinde um Vorbereitungen zu treffen oder uns neue Dinge auszudenken.

Und wenn sie im Krankenhaus lag? Dann nahm ich sie mit durch meinen Alltag. Skypte während ich kochte, backte, las oder Sport machte, auch jene Art von Ferien verbrachten wir zusammen, vielleicht mit Hilfe elektronischer Geräte, aber das zählt dennoch und trotz den Fortschritten all der letzten Jahre ist die Gesellschaft nach wie vor nicht in der Lage mit Toten Kontakt aufzunehmen, ganz zu meinem Leidwesen, natürlich bin ich aber auch realistisch genug, um zu wissen, dass das für immer eine Wunschvorstellung bleiben wird und es ist gut so, dennoch wünsche ich mir Betty zu mir, jetzt in diesem Moment.

Stattdessen öffne ich ihren Brief, lache, weine und versinke in alten Erinnerungen während ich lese und vielleicht ist es am heutigen Tag viel zu heiß, um sich überhaupt irgendwie zu bewegen und vielleicht ist es ebenso unsinnig, mich jetzt auf den Weg ins Krankenhaus zu machen, ohne zu wissen, ob Milena dort überhaupt liegt, doch aus irgendeinem Grund spornen mich Bettys Worte so unglaublich an diese Challenge zu bewältigen. Trotz dieser widrigen Temperaturen, denn was zählt ist der Wille und nicht die Umstände.

Ich nehme mir also meine Wasserflasche und meine Füße und mache mich auf den Weg. Auto fahren kommt seit dem letzten Monat nicht mehr in Frage, seither hat sich eine Panik in dieser Art zum Glück nicht mehr bemerkbar gemacht, und auch Fahrrad fahren ist mir momentan irgendwie suspekt.

Dementsprechend bleibt mir nur der Bus und eine kurze Textnachricht an meine Oma, die inzwischen beinahe mehr von der neusten Elektronik versteht, wie ich, um mich dann der elenden Hitze tatsächlich vollkommen auszusetzten. Kein Schatten als Schutz, nur mein Kopftuch, das mich immerhin vor einem Sonnenbrand am Kopf bewahrt, meine viel zu helle Haut, beginnt sich aber schon jetzt wieder knallrot zu färben. Ich hasse es.

Der Bus kommt ewig nicht, auf den Fahrplan habe ich zuvor nicht gesehen, die Aktion viel zu spontan. Kein Häuschen um irgendwie nur ein ganz klein wenig Schatten zu erhaschen. Ich sehne mich nach unserem Baumhaus, gleichzeitig nach Betty, es tut weh.

Wieder ist da der Schmerz in meinem Herzen.

Jener der sich überall ausbreitet.

Es sind inzwischen 4 Monate vergangen, ich habe nicht das Gefühl, dass es irgendwie besser wird. Eher schlimmer oder es bleibt konstant. Grausam konstant.

Mit Tränen in den Augen steige ich schließlich ein. Meine Unfähigkeit zu sprechen hindert mich wieder einmal daran dem Busfahrer zu sagen wohin ich eigentlich fahren will. Sein mitleidiger Blick macht es auch nicht gerade besser.

Back to LifeWhere stories live. Discover now