9. Brief

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Leica, my love,

mein Kopf schmerzt, ich liege in einem dieser viel zu weichen Betten, in dem mir viel zu bekannten Krankenhaus. Würde mich gerne aufrichten, eine Runde durch die Gegend spazieren, doch ich bin viel zu schwach. Nach schrecklicher Übelkeit und Erbrechen, sowie diesen typisch extrem schmerzhafte Oberbauchschmerzen, bin ich hier gelandet. Inzwischen habe ich auch wider Anzeichen einer Gelbsucht und vor gerade einmal 20 Minuten wurden erneut Metastasen diagnostiziert. Längst nicht mehr nur in der Bauchspeicheldrüse, inzwischen auch in der Leber. Zum jetzigen Zeitpunkt habe ich keine Ahnung ob das Ganze operiert wird, ob sie es wieder nur mit Chemotherapie und Bestrahlung versuchen, ich habe wirklich keinen blassen Schimmer und letztendlich will ich es auch gar nicht wissen. Fühle mich einfach viel zu schwach, erbreche ungefähr jede halbe Stunde und bin momentan an einem Punkt an dem ich mir wünsche es wäre einfach endlich vorbei.

Keine Schmerzen, keine ständigen Untersuchungen, Metastasen die sich ungehindert ihren Weg durch meinen ganzen Körper suchen, ständige Übelkeit, hinzu kommt das Erbrechen, die Ungewissheit und dann die ganzen Operationen, Bestrahlungen, Dinge die an meinem Körper zehren, die mich kaputt machen und bei denen ich immer wieder voller Erschrecken bemerken muss, dass es letztendlich nicht einmal unbedingt der Krebs sein muss, der mich so kaputt macht. Es sind genauso die ganzen Behandlungen, Untersuchungen, Aufenthalte in der Klinik, die Gespräche, Tränen, das Hoffen und Bangen. Die Freude, wenn Gott wieder einmal ein Wunder getan hat und die nüchterne Erkenntnis, dass der Krebs längst viel zu viel Macht über meinen Körper gewonnen hat. In Momenten in denen ich hier liege, weine und kaum atmen kann. Was das Ganze nicht besser macht, weil mir dadurch schon wieder schlecht wird. Ich mich übergebe, anschließend kraftlos zurück ins Kissen falle. Verzweifelt versuche Gott zu loben, ihn zu preisen und ihm zu danken, weil ich weiß dass er es schon irgendwie gut machen wird, weil ich weiß dass er mich zu richtigen Zeit zu sich holen wird und weil ich ebenso die vollkommen klare und aufmunternde Zusage habe, dass er mir die Kraft schenken wird, die ich in Momenten wie diesen brauche. 

Aber ich spüre sie nicht, diese Kraft, ich kann ihn nicht spüren. Keine Arme, die mich fest umarmen, die mich beschützen, mich behüten, mich empor heben. Keine Hand, die mich auffängt wenn ich falle, auch wenn ich mir sicher bin, dass sie da sein muss. Keine aufmunternden Worte, passende Bibelverse, da ist nicht diese Geborgenheit, die ich in seiner Gegenwart spüre, nicht der Friede, die Ruhe, die Zuversicht.

Da ist nichts! Einfach Leere. Der verzweifelte Schrei nach Hilfe, die Kraftlosigkeit, die mich immer wieder übermannt, mein hektischer Atem, die Tränen, das Erbrochene. Meine Hand, die sich ausstreckt und ins Nichts greift. Meine Augen, die hilflos über alle möglichen Bibelverse gleiten und nicht wissen woran sie sich festhalten sollen. Worte die vorbeifließen als hätten sie keine Bedeutung, als wären sie nicht mächtig, nicht anwesend. Lobpreismusik in meinen Ohren. Ich höre die Texte, nehme die Melodien und Hintergrundakkorde war, nichts davon findet den Weg in mein Herz. Es ist einfach Musik, die ich höre wie jede andere auch und die mir kein bisschen das Gefühl eines hier, jetzt in diesem Moment anwesenden Jesus gibt. Meine Hand, die sich in der Bettdecke verkrampft, ganz weiß wird, so sehr dass meine Adern hervortreten und dann schwach zurückfällt, weil ich keine Kraft aufbringen kann. Nicht einmal Kraft um wirklich wütend zu sein, zornig, keine Kraft zu beten. Ich rede mit Gott genau zwei Worte, unterbreche mich selbst weil es sich nicht richtig anfühlt, weil es zu viel Energie kostet, weil ich keine Ahnung habe was ich eigentlich sagen will, weil alles weg ist. All die Momente in denen Gott so deutlich anwesend war. Jene, in denen ich voller Zuversicht unterwegs war, anderen von Gottes großer Liebe erzählte, in der Schule, auf der Straße irgendwo bei irgendjemandem Zuhause. Momente, die so kraftvoll waren, so ausgefüllt, wo ich mich nicht krank fühlte, auch wenn ich es vielleicht war, Momente in denen ich leuchten durfte, Sprachrohr war, für seine Worte, seine Gedanken, für die große Herrlichkeit unseres Vater.

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