Challenge Nr. 8

54 12 17
                                    





Ich nehme jetzt Gebärdensprachunterricht.

schreibe ich Philipp voller Begeisterung wenige Minuten bevor er mich abholt, um mich mit in den Gottesdienst zu nehmen. Mit meiner Oma fahre ich nach wie vor kein Auto, auch allein nur wenn es unbedingt nötig ist, aber ich habe ja Philipp und der kutschiert mich liebend gerne durch die Gegend und ich frage ihn auch mindestens genauso gerne, schließlich habe ich dann einen Grund ihn zu sehen und ihn anzuschreiben ebenso.

Wer hat dich denn auf diese bescheuerte Idee gebracht?

fragt er mich, als wir nebeneinander in seinem Auto sitzen und er sein Handy zückt anstatt den Motor zu starten. Ich stöhne genervt auf, wir sind sowieso schon viel zu spät dran.

Betty und jetzt gebe Gas, das Pedal ganz rechts unten, falls du es nicht kennen solltest. Die Uhr tickt!

Er lacht. Drückt auf das von mir beschriebene Pedal. Der Motor heult auf. Ich verdrehe die Augen, kann mir ein kleines, kaum merkbares Lächeln jedoch nicht verkneifen.

Seite an Seite hetzten wir in den Gottesdienstraum. Die ersten Töne des Lobpreises setzten gerade ein, als wir uns nebeneinander ziemlich weit hinten auf die Stühle fallen lassen. Mein Atem geht laut und hektisch, meine Ausdauer war auch schon mal besser, ich bin froh, dass er mich nicht hören kann. Apropos hören. Von der Seite starre ich ihn an. Seine Augen sind geschlossen. Es scheint als lausche er der Musik, aber er kann doch nichts hören. Es ist ein komisches Gefühl ihm zuzusehen. Sein Kopf der im Tackt nickt, sein rechter Fuß, der leicht auf den Boden tippt. Sein Gesicht völlig entspannt. Ab und zu lächelt er leicht oder wenigstens meine ich deuten zu können, dass er lächelt. Wenn er aber nichts hören kann... Mein Blick gleitet zurück auf sein rechtes Bein. Ich mag musikalisch zwar keine wahnsinnige Begabung haben, aber dass er nicht völlig zufällig auf den Boden klopft, das merke sogar ich. Er scheint den Tackt irgendwie wahrnehmen zu können.

Ich berühre ihn sanft am Arm. Er schreckt auf. Seine Augen weiten sich für einen Moment erschrocken, dann scheint er mich zu erkennen. Atmet einmal laut aus. Ich deute auf mein Handy, er nimmt das seine aus der Hosentasche, während uns die ältere Dame links neben mir ärgerlich anschaut. Handy im Gottesdienst und so... Sie hat ja sowas von gar keine Ahnung.

Du kannst hören?

Was für eine völlig bescheuerte Frage. Am liebsten würde ich mich dafür selbst schlagen. Ich tue es. Schlage mir etwas zu laut auf den Oberschenkel. Meine Nebensitzerin schaut mich mehr als wütend an. Ich zucke entschuldigend die Schultern, Philipp hört mich nicht, lacht trotzdem und Schüttelt spöttisch den Kopf. Natürlich hört er nichts. Er hatte einen Tumor im Gehörgang, Operation und so weiter.

Tut mir leid, wegen der dummen Frage, aber die Musik? Du kannst sie irgendwie wahrnehmen oder?

Er scheint erstaunt.

Du hast das bemerkt?

Ich nicke.

Du beobachtest mich zu viel.

Ich lache. Peinlich berührt.

Also?

Ich will es wirklich wissen, es interessiert mich. Er interessiert mich.

Ich kann sie spüren. Die Vibrationen der Musik. Vor alle die lauten Instrumente. Schlagzeug und so... die Luft und auch Gegenstände übermitteln ziemlich deutliche Wellen.

Ich schaue ihn erstaunt an. Erstaunt und bewundernd. Krass was man beginnt wahrzunehmen wenn man nichts hört. Keine Musik, keine Melodien, keine verschiedenen Töne, die Stimmen der Sänger. Man fühlt es nur, irgendwelche Wellen, die die Musiker erzeugen. Ich kapiere nicht so ganz. Ich höre ja, ich muss es nicht können, trotzdem will ich es verstehen.

Back to LifeWhere stories live. Discover now