2. Antwort

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Meine lieber Betty,

Glück! Ich versuche Glück gerade zu definieren und irgendwie gelingt es mir nicht. Nicht nach deiner letzten Challenge. Ich weiß es nicht, ich weiß wirklich nicht was Glück ist und was glücklich sein bedeutet. Im Moment? Im Moment bin ich nicht glücklich, diese Frage kann ich dir beantworten, aber ob ich jemals glücklich war? Ich meine so richtig glücklich? Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht.

Ich meine, was ist Glück.

Du warst glücklich, glaube ich jedenfalls, oder vielleicht bilde ich es mir auch einfach nur ein. Dennoch hast du es immer wieder gesagt, dass du es bist – glücklich.

Manchmal in den ungelegensten Momenten, wie beispielsweise in dieser Nacht auf den Straßen unseres Ortes, singend, tanzend und glücklich – irgendwie.

Es gibt noch andere Beispiele. Momente im Baumhaus, in denen wir geredet haben, ohne Unterlass, stundenlang und im Gottesdienst, da hast du auch immer gesagt, dass du glücklich bist, ganz besonders in der Gegenwart von anderen Christen. Ich war auch glücklich, ich meinte auch glücklich zu sein und doch war ich es nur dann, wenn du es warst. Mein Glück hing von dir ab Betty und es hängt nach wie vor von dir ab, von deiner Wendigkeit, es gibt da nur ein klitzekleines Problem: du bist nicht mehr da! Wie soll ich denn da glücklich sein? Ohne dich? Betty ich habe Angst, ich glaube ich schaffe es nicht. Besonders nicht in meinem jetzigen Zustand, nicht in meinem Schweigen, nicht in meiner eigenen Welt, ich ziehe mich zurück, um vor der Trauer zu fliehen und gleichzeitig fliehe ich vor dem Glück, vor der Freude, denn da ist nur Leere, ich spüre nichts, ich bin in meiner eigenen Wirklichkeit, aber ich schaffe es nicht aufzutauchen, an der Realität teilzunehmen. Es tut so unfassbar weh und die Erkenntnis ist einfach schrecklich.

Vermutlich ist das Glück eines mit der Gründe, warum du mich überhaupt erst zu den ganzen Challenges versuchst zu überreden. Um den Weg zurück ins Leben zu gehen, um es endlich wieder zu schaffen an der Realität teilzunehmen, um glücklich zu werden. Doch kann ich das? Glücklich werden ohne dich? Hast du dir darüber schon mal Gedanken gemacht? Was ist wenn es nicht geht? Was ist wenn ich es nicht schaffe?

Ob ich die Challenge deines zweiten Briefes nun erfolgreich gemeistert habe oder nicht, diese Frage kann ich dir im Moment um ehrlich zu sein nicht beantworten. Meine Oma hat mich mit zum Gottesdienst geschleppt. Allein wäre ich dort nie erschienen und eigentlich habe ich schon damit versagt, oder? Weil es nicht mein eigener Wille war. Ist das so wichtig? Der eigene Wille?

Schon nicht?

Du sagst, dass ich dich bewundere Betty und ich wollte es abstreiten anfangs und dann habe ich mir darüber Gedanken gemacht und ja, ich bewundere dich. Ich bewundere dich tatsächlich, wirklich und wahrhaftig.

Schon allein betreffend deines eigenen Willens. Du wusstest immer was du willst. Du wusstest, dass du heute feiern gehen willst, und morgen meine Oma besuchen und übermorgen ins Freibad. Du wusstest auch was dich glücklich macht, du wusstest wo du hin willst, was dein Ziel ist, du wusstest so viel, du hattest einen eigenen Willen, niemand konnte dir dazwischen reden, nicht meine Mum, nicht die deine nicht einmal meine Oma, und glaub mir sie hat wirklich ein Talent was das Überzeugen von Menschen angeht.

Ich erinnere mich einmal an einen Tag, an dem wir meine Oma gemeinsam besucht haben. Es hat geregnet, wobei das tatsächlich noch eine Untertreibung ist. Es hat geschüttet, aus Kübeln und glaub mir das Wetter war einfach nur grausam. Jedenfalls in meinen Augen.

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