Tag Zehn - Nachts

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„Wohin fahren wir?"
Mein Wagen rast über die Straßen, raus aus der Stadt in Richtung Randbezirke. Bisher hatten wir kaum geredet, doch mit dieser Frage bricht Farid das Schweigen zwischen uns.
„Wirst du dann sehen. Oder willst du dir die Überraschung versauen?" Ich schaue für eine Sekunde lächelnd zu ihm und konzentriere mich dann wieder auf die Straße vor mir.
„Ich war noch nie ein Fan von Überraschungen. Aber Okey ... ich werde das wohl auf mich zukommen lassen müssen.", entgegnet Farid spaßend.

Ohne meinen Blick von der Straße zu wenden, nehme ich die Whiskeyflasche aus der Zwischenablage und halte sie ihm entgegen.
„Hier. Ich lass' dir den Vortritt.", kommentiere ich und spüre, wie er die Flasche aus meiner Hand nimmt.
„Du wirst aber erst trinken, wenn wir ankommen, oder?"

Ich lache leicht auf. „Stimmt. Wie gut, dass wir deshalb schon da sind, oder?"
Ich lenke den Wagen auf einen leeren Parkplatz neben ein etwas größeres Gebäude und schalte den Motor aus.
Grinsend sehe ich zu Farid und nehme ihm die Flasche aus der Hand, um selbst einen Schluck daraus zu trinken.
„Worauf warten wir dann?" Er wartet keine Antwort von mir ab, sondern steigt sofort aus.
Überrascht folge ich ihm nach draußen. „Du weißt doch gar nicht wohin.", kommentiere ich und beobachte Farid dabei, wie er sich umsieht.

Ich nehme noch einen Schluck aus der Flasche und übergebe sie ihm wieder.
„Dann wirst du mir das jetzt wohl zeigen, oder?" Mit einem Grinsen im Gesicht trinkt er selbst nochmal und ich gehe vorbei an ihm, direkt auf das Gebäude zu.

„Was wollen wir darin?"
Ich antworte nicht, stattdessen schließe ich das leicht heruntergekommene Gebäude auf. Mit einem gezielten Griff drücke ich auf den Lichtschalter innerhalb des Eingangs und bin erleichtert, als das Licht nach all den Jahren immer noch angeht.
„Lass' dich überraschen und komm mit." Ich gehe vor und die Treppe in den ersten Stock hinauf. Dort schalte ich das Licht an, welches den Raum in kühles Licht taucht, sodass das alte Boxing-Gym wieder zum Leben erwacht.

Ich höre Farid's Schritte hinter mir, die direkt auf meiner Höhe verebben.
„Sind wir gerade eingebrochen?"
Ich sehe ihn an und schüttele grinsend den Kopf. „Nein. Das hier gehört mehr oder weniger mir. Ich war nur schon viel zu lange nicht mehr hier."
Erstaunt hebt Farid beide Augenbrauen und läuft durch die großräumige Halle voller Boxsäcken, Trainingsgeräten und einem Boxring. „Eine Schande das hier nicht wieder zu öffnen.", kommentiert er und schlägt auf einen Boxsack ein. „Warum gehört dir das überhaupt?"

Ich folge ihm durch den Raum und hole aus einem der Spinde Bandagen, die ich mir nun so um die Fäuste wickele, als hätte ich nie damit aufgehört. „Ich stand selbst in einem Ring. So wie du es jetzt tust. Aber ich habe damit aufgehört ... naja, ich wurde gezwungen. Meine Eltern konnten es nicht mehr mit ansehen wie ich jeden Abend heim kam und immer wieder blaue Flecken und Platzwunden hatte. Sie haben mir gedroht mich finanziell auf Eis zu legen und wollten dafür sorgen, dass ich auch selbst kaum mehr Geld reinbringen konnte ... ja ich liebe meine Eltern."

Erst jetzt sieht Farid zu mir und ist leicht verwundert, als er sieht wie ich in den Boxring steige. Ich jedoch deute auf den Spind. „Na los. Nicht direkt mit blanken Fäusten, aber mit Bandagen."
Ungläubig lacht er auf. „Du willst gegen mich kämpfen?"
Ich trinke herausfordernd einen weiteren Schluck des Whiskeys. „Richtig. Und du wirst verlieren. Gegen eine leicht angetrunkene Frau." Ich zwinkere und kann Farid förmlich ansehen, wie sein Ego verletzt ist.

Er lässt es sich nicht noch einmal sagen und bindet sich selbst die Bandagen um, ehe er genauso einen weiteren Schluck aus der Flasche trinkt als er in den Kreis kommt.

Provozierend hebe ich meine Fäuste und springe auf und ab. „Los. Versuch mich zu treffen. Und bitte halte dich nicht zurück. Es sollte wenigstens ein bisschen spannend werden."
Kommentarlos kommt Farid auf mich zu während er seine Fäuste langsam hebt. Ich fokussiere mich auf ihn und achte auf jede seiner Bewegungen.

Mit einem Jab versucht er mich zu täuschen, um mich mit einem darauf folgenden Schlag gegen die linke Seite meines Körpers zu treffen.
Doch meine Reflexe sind noch nicht eingerostet, sodass ich ihm geschickt ausweichen kann.
Mit einem Grinsen suche ich den Blickkontakt und schaue in verwunderte Augen. „Was ist los? War das alles." Ich lache belustigt auf und muss sofort einem zweiten Jab ausweichen, der mich nur knapp verfehlt.

Ich gehe zwei schnelle Schritte zurück und hebe meine Fäuste. „Bereit?"
Farid muss nun selbst Grinsen. „Ich fange gerade erst an."
Anstatt auf einen Angriff von ihm zu warten, versuche ich nun durch seine Deckung zu kommen, indem ich einen Schlag gegen seinen Körper ansetze, dem Farid jedoch ausweichen kann. Ich verschwende keine Sekunde und wende eine Technik an, mit der er nicht gerechnet hat.
Durch einen starken Side-Kick treffe ich Farid in der Höhe seiner Rippen und bringe ihn dazu, einen Ausfallschritt zu machen.

Flink muss ich mich schnell zurück ziehen, sodass sein Gegenangriff mich nur an der Schulter streift.
„Ich habe dir beim kämpfen zugesehen. Ich weiß mittlerweile was du tust.", kommentiere ich gelassen als Farid wieder einige Schritte näher kommt.
„Das wird dir noch leid tun.", droht Farid spielerisch und beginnt damit, ein Hagel aus Kombinationen gegen mich auszuführen.
Die erste kann ich noch abblocken, doch die zweite trifft mich selbst am Körper.

Schnell ergreife ich die Situation und öffne Farid's Deckung, da er nahe genug steht. Somit kann ich ihn gegen den Körper und mit einem Upper-Cut treffen, ehe ich zurück weiche. Weitere Schläge möchte ich nicht mehr verteilen, da ich spüre, wie mein Blut hochkocht und ich mich sonst nicht mehr zügeln kann.

„Farid ...", ich fasse mir an die Schläfe und schließe die Augen. Das Adrenalin, welches nun durch meine Adern pumpt zwingt mich beinahe dazu, weiter zu machen.
„Was denn? Bist du schon kaputt? Du hast doch gerade einen Volltreffer gelandet. Respekt." Spielerisch schubst er mich.
Mehr braucht es nicht, um meine Kampflust vollkommen zu entfachen.

Beinahe weitere zehn Minuten teilen wir untereinander Schläge aus, die aber gefühlt lange nicht so hart sind, als wenn sie in einem echten Kampf ausgeteilt werden. Wir beide sind in unserem Element und vergessen alles andere um uns. Es gibt nur den Ring und uns als Gegner.

Schlussendlich verlieren wir beide bei einem provokanten Blickkontakt die Konzentration, sodass wir uns bei einer Schrittfolge aufeinander zu das Gleichgewicht verlieren und ich Farid unabsichtlich den Boden unter den Füßen wegziehe, da wir uns zu nahe kommen.
Dieser lässt es sich jedoch nicht nehmen, mich zu greifen während er fällt, sodass ich auf ihn pralle.

Mit einem dumpfen Schlag kommt er auf. Erschrocken stemme ich mich von ihm hoch. „Verdammt! Sorry! Alles Okey?", frage ich besorgt und stehe auf.
Auch Farid ist schnell wieder auf den Beinen und schüttelt lachend den Kopf. „Ich habe schlimmeres erlebt.", tut er die Sache ab und kommt auf mich zu.

„Du willst jetzt aber nicht weiter kämpfen oder?", frage ich lachend aber gleichzeitig gespielt misstrauisch und atme etwas schwerer, dank der Anstrengung.
„Nein. Aber du verschwendest dein Talent wenn du damit aufhörst.", meint Farid nun und steht direkt vor mir. Ich muss leicht Aufsehen, um den Blickkontakt halten zu können.
Ich spüre seine Wärme, die sein Körper ausstrahlt und möchte ihn am liebsten umarmen, doch ich zügle mich.

„Ich weiß ... eigentlich hast du recht." Ich zucke mit den Schultern, bevor ich Farid's Hand an meiner Wange spüre, sodass ich wieder hochsehe.
„Du bist stark. Hier ...", er deutet auf meine Fäuste „ ... und hier." Seine andere Hand zeigt auf die Stelle meines Brustkorbs, unter dem mein Herz wie wild schlägt.

Ich lächle und versuche nicht wie ein Teenager nervös zu werden, als er mit seinem Daumen über meine Wange streicht.

Und auch dieses Mal überrasche ich mich selbst, als ich langsam die letzten Zentimeter zwischen mit und Farid auflöse und ihn doch umarme, was er gleich erwidert.
Ich kann seine kräftigen Arme um meinem Körper spüren und lege meinen Kopf auf seiner Brust auf.

Ich kann nun sein Herz hören, das genau wie bei mir wie verrückt schlägt.

Alles, was ich jemals wollte. (Farid Bang FF) Where stories live. Discover now