Prolog

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Prolog

Die silberne Klinge bohrte sich in den Brustkorb der jungen Frau.

Sie schrie; sie kreischte, während sich der Stahl durch ihre Rippen fraß und jenen Muskel durchzog, der noch vor wenigen Momenten gleichmäßig in ihrer Brust geschlagen hatte. Blut quoll aus ihrer Wunde hervor, umspielte das Metall mit seinem schaurigen Rot und tränkte ihr weißes Kleid in den Farben des Lebens. In dicken Rinnsalen färbte es das hellgraue Parkett und wurde schließlich zu einem See, der den Boden mit seiner schieren Unendlichkeit verschluckte. Es war, als würde nur dieses Blut eine Rolle spielen. Dieser Lebenssaft, wie milliarden winziger Rubine, die durch die Adern der Frau flossen und nun die von Krieg verpestete Luft schnupperten.

Schwach formte die Frau ein Wort auf ihren rosigen Lippen, doch kein Ton konnte in die Welt entrinnen. Als würde ein giftiger Fluch ihr Inneres zersetzen, flutete Blut ihre Kehle, bevor dieses über ihre zarten Wangen lief; sich mit dem himmelblauen Haar verband.

In ihren Augen lag eine unausgesprochene Nachricht, die sich ihrem Mörder lediglich in Form unzähliger Tränen offenbarte. Sie glänzten und brachen das schwache Licht der Kronleuchter, die über ihren Köpfen schwebten. Nur langsam entkamen die Tränen ihren Augenwinkeln und doch nahmen sie kein Ende, als hätten sie sich nur für diesen Moment gesammelt. Sie begleiteten diesen Blick und unterstrichen seine stumme Nachricht, bis das freundliche Meerblau in ihren Iriden erlosch.

Allmählich entfloh der zierlichen Frau die Farbe. Als wäre ihre Haut ein unbeschriftetes Blatt Papier, war diese schneeweiß, ohne einen Hauch von rötlichen Nuancen, die sonst ihren hellen Teint schmückten. Kein lebensfroher Ton hätte sich auf ihre Wangen legen können, wie der Vorhang fiel, nachdem ein glorreiches Stück geendet hatte.

»Enja«, flüsterte der junge Mann, der auf dem leblosen Körper der Frau saß. Zitternd umschlangen seine Finger den Griff des Schwertes, das noch immer ihr Herz teilte und ihre Seele durchschnitt. Seine Stimme war nur gebrochen und rau, von einem lauten Schluchzen untermalt, das sich wie ein Blitz durch den Moment zog, doch im Jenseits konnte kein Schrei die Ohren der Frau erreichen.

»Es tut mir leid.« Er wollte sie zurück haben. Er wollte diese geliebte Person zurück haben, doch ihr Geist war bereits im endlosen Nichts verschwunden und funkelte einzig mit den Sternen am nächtlichen Himmel.

Tränen, mehr als die Frau jemals hätte weinen können, tropften von seinem Kinn hinab; vermischten sich mit ihrem Blut und erloschen unter dieser Gewalttat.

Jede Faser seines Körpers begann sich nach ihr zu sehnen und sie mit ganzem Herzen zu vermissen. Die unergründliche Wut, die ihn zu dieser Tat getrieben hatte, war erloschen und einzig Trauer, Verzweiflung und Selbsthass begannen seine Seele zu verzehren, wie ein Monster, das sich seinem Leben als Mahlzeit bediente. Wie war es nur jemals soweit gekommen? Warum nur, hatte er sich dieser furchtbaren Gedanken angenommen und diese Wahnvorstellungen, die wie ein Parasit in seinem Kopf gesessen hatten, umgesetzt? Er wollte doch nie jemandem etwas tun, ganz egal, ob man ihn nun als nutzlos oder den schwächsten Gott bezeichnete. Eigentlich wollte er nur glücklich werden und mit seinen Geschwistern endlich auf einer Stufe stehen, doch er hatte sie verraten; sie hinterrücks betrogen.

»Bitte, Enja. Ich wollte das nicht.. Er.. Der dunkle Gott.. « Seine Stimme überschlug sich, bevor sie sich abermals in einen herzzerreißenden Schrei wandelte. Er schrie all sein Leid, all seine Trauer in die Welt hinaus, doch egal, wie oft seine Stimme von den weißen Wänden des Saals widerhallte, nichts konnte die Narben schließen, die sich durch sein Herz zogen, bis in seine Seele eindrangen und diesen Moment zum Verderben selbst machten.

Als der Schrei verging und sein Echo ein letztes mal abklang, legte sich eine unheimliche Stille auf den Moment und dehnte Sekunden zu Stunden, während jede Minute, wie ein Jahrtausend erschien. Es kam nur noch ein letzter Laut von den Lippen des jungen Mannes. Ein Satz so leise und vergänglich, als könnte ein einzelner Windstoß ihn vergessen machen, dennoch war er ein Ausspruch seiner wahren Gefühle.

»Verzeih mir, es tut mir leid.«

Vielleicht blieb die folgende Stille lange bestehen, denn die Sonne bemalte den Himmel bereits orange, als wäre sie ein Künstler, der allen Menschen sein Werk präsentieren wollte, doch in Wahrheit kam die Antwort nur wenige Sekunden später. Ein Satz, der sein Leben noch viel mehr zerstörte.

»Nein, mir tut es leid, Cyrian.«

Ruckartig wandte der Mann seinen Kopf und blickte in die Gesichter seiner Brüder und Schwestern, ihnen voran Argon, der Älteste. Er drückte sein Schwert gefährlich nah an Cyrians Kehle. So nah, dass Cyrian das Blut in den Adern gefror.

In den Blicken seiner Geschwister lagen so viele Emotionen, wie sie nicht mal die Flut mit sich zu bringen vermochte. Hass, wegen Cyrians Verrat, Trauer, dass es soweit kommen musste und Angst, was folgen würde.

»Argon, Kalani, Cleo, Enja«, Cyrians Blick huschte von einem Gesicht zum nächsten und mit jeder weiteren Sekunde, die verstrich, wurde ihm mehr und mehr bewusst, was er gerade eben getan hatte. Zum Schluss sah er Enja an, die hinter ihren Geschwistern stand und verzweifelt versuchte seinen Blicken auszuweichen. Tränen glänzten in ihren Augenwinkeln und sie hatte die Hand vor den Mund geschlagen, um nicht einen ersticken Schrei von sich zu geben. Sie konnte den Anblick ihres Bruders nicht ertragen, der sie noch vor wenigen Sekunden kaltblütig erstochen hatte und sie nun mit diesem wehleidigen, schuldbewussten Blick durchbohrte. Dieser Moment war ihre persönliche Hölle.

Verwirrt sah der junge Mann zurück auf die Enja, die er zuvor noch erstochen hatte, doch war ihre Gestalt nicht viel mehr als Erde, Dreck und ineinander verflochtene Pflanzen. Es war Cleos Zauber gewesen, der ihn getäuscht hatte, dennoch verschwand der Druck, den Cyrian auf seiner Brust verspürte, nicht. Ein tiefes und schmerzhaftes Ziehen genau dort, wo sein Herz unregelmäßig pulsierte. Nichts änderte das Szenario, dass er seine eigene Schwester umgebracht hatte.

»Ich...«, setzte Cyrian mit zitternder Stimme an, während noch immer Tränen aus seinen Seelenspiegeln rannen, doch dieses Mal auf das Schwert tropften, das ihn ganz sicher in den Tod führen würde, wenn er sich widersetzte. Auch wenn er das nicht tun würde, mit seinem Herzen, das von Trauer umschlungen war.

Argon unterbrach ihn. Cyrians Sünden würden durch nichts wieder gut gemacht werden können, so konnte er auch nicht anders, als seine Gefühle zu verdrängen und das Urteil stählern auszusprechen: »Cyrian, Gott von Raum und Zeit, Sohn des Göttervaters, aufgrund deiner Vergehen, verbanne ich dich bis in alle Ewigkeiten in den Abyss.«

Der fünfte GottWhere stories live. Discover now