Kapitel 1.1 - Zeitenlärm

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Zeitenlärm

Meine Blicke folgten dem Hasen, der durch das Unterholz sprang. Groß und wohlgenährt, mit braunem Fell und treuen schwarzen Augen, hüpfte das Tier aus seinem Versteck und schnupperte die frische Morgenluft. Sein Näschen wackelte freudig, während es seinen Kopf senkte und etwas vom taufrischen Gras kostete. Zeitgleich durchschnitt mein Pfeil die Luft. Wie ein Blitz zeichnete er den Weg von meinem Bogen zu dem unschuldigen Tier, das mit einem grässlichen Quieken zu Boden ging. Sein Leben erlosch schnell und bevor seine Seele in den Himmel entstieg, nahm der Hase einen letzten Atemzug. Der Glanz in seinen Augen erlosch, die Muskeln erschlafften und das kleine Herz hörte auf zu schlagen.

»Volltreffer«, murmelte Tirion, der neben mir hinter den Sträuchern hockte und meinen Schuss beobachtet hatte.

Ich warf ihm ein Grinsen zu, während ich mir meine wohlverdiente Beute nahm. Kurz beäugte ich das tote Tier, scannte es auf mögliche Krankheiten und zog den Pfeil wieder heraus.

»Noch gut«, sprach ich meine Gedanken aus und strich mir eine Strähne  an schwarzem Haar hinters Ohr, das sich aus meinem Zopf gelöst hatte.  Anschließend winkte ich Tirion zu mir.

Der vierzehnjährige Junge grinste über beide Ohren, während er aus unserem Versteck stolperte. Mit seinen mausgrauen Augen blickte er mich aufgeregt an. Gleichzeitig ging er auf mich zu und klopfte sich den Dreck von seinem braunen Hemd, das locker seine dünne Statur bedeckte.

»Du bist einfach nur unglaublich, Pandora. Deine Fähigkeiten mit dem Bogen sind überragend.«

Über sein Kompliment hinweg schüttelte ich nur den Kopf, doch es entlockte mir ein Schmunzeln. Tirion, der aufgeweckte Junge, mit den blonden struppigen Haaren, hatte schon immer für meine Fähigkeiten mit Waffen umzugehen, geschwärmt. So außergewöhnlich es auch klingen mag, irgendwie war es verständlich, immerhin gab es mitten im Wald, neben etlichen Tier- und Pflanzenarten, nicht viel, das interessant war.

»Hier, tu' was für dein Essen.« Kaum stand Tirion neben mir, reichte ich ihm den toten Hasen, welchen er angewidert annahm.

»Muss das sein?«

Als Antwort rollte ich mit den Augen. Eigentlich hätte ich ihn gar nicht erst auf die Jagd mitgenommen, doch er hatte nicht locker gelassen und da der Dorfälteste es für eine gute Idee hielt, ihm den Umgang mit Pfeil und Bogen näherzubringen, war mir letztendlich keine andere Wahl geblieben. Allerdings war es auch nicht so, als würde ich seine Anwesenheit als unangenehm empfinden, denn obwohl er sich leicht beeindrucken ließ, half er mir sehr. Ein kleiner Teil unserer Beute ging sogar auf sein Konto.

Ich erhob mich wieder und wandte meinen Kopf in Richtung Himmel. Das Blau lugte zwischen dem Grün der Bäume hervor und Sonnenstrahlen tanzten auf dem Boden. In der Luft lag der Geruch von Wald, Tier und Tau, während Vögel süße Symphonien anstimmten. Ein gleichmäßiger Windzug erhaschte die Baumkronen, brachte die Blätter zum Rascheln und vollendete das Bild eines Sommermorgens.

»Lass uns noch ein Stück tiefer«, schlug ich meinem Begleiter vor, während ich meinen Mantel aufknüpfte. Ab sofort würde es rasant wärmer werden, da bräuchte ich diesen nicht mehr. Schwungvoll warf ich ihn mir über die Schulter und setzte mich in Bewegung.

Tirion folgte mir, jedoch sah er nervös in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Denkst du wirklich, dass das eine gute Idee ist? Ich meine, wir sind schon ziemlich weit weg.«

Ich drehte mich wieder zu ihm um, sodass ich mit dem Rücken voran tiefer in den Wald spazierte. »Natürlich. Stell dich nicht so an.«

»Und was, wenn wir auf Monster treffen?«, erwiderte er. Seine Hand, die einen Wandersack umklammerte, verkrampfte sich und in dem Grau seiner Augen mischte eine Spur von Furcht.

Tatsächlich war es nicht ungefährlich so tief in den Wald zu gehen, doch da die meisten Monster nachtaktiv waren, hatten wir nichts zu befürchten. Selbst wenn wir auf eines treffen sollten, würde ich mit ein oder zwei auch alleine fertig werden. Tirion hatte also nichts zu befürchten.

»Ich passe schon auf«, grinste ich, drehte mich wieder um und duckte mich unter einem Ast hinweg, der im Weg hing. Obwohl ich mir sicher war, dass ich den Blonden nicht gänzlich überzeugt hatte, folgte mir der Junge weiterhin, denn sein Fußstapfen hinterließ ein leises Rascheln, das ich stetig im Hintergrund vernahm.

In den nächsten zwei Stunden hatten wir tatsächlich noch zwei weitere Tiere geschossen, ein Wildschwein und einen ausgewachsenen Hirsch. Da Tirion diese nicht tragen konnte, schulterte ich unsere Beute und befahl den Rückweg. Das Gewicht auf meinen Schultern war dabei das geringste Problem, denn das Blut der Diavis loderte in meinen Adern, wie eine wilde Flamme, die sich nach dem Kampf sehnte.

»Pandora«, ertönte Tirions Stimme hinter mir, wobei sich in seinen Tonfall erste Anzeichen von Verwirrung mischten.

Ich wirbelte herum und erblickte den Jungen, wie er durch eine Lücke zwischen den Bäumen spähte. Er winkte mich zu sich und deutete auf eine Stelle im Wald.

Ich runzelte die Stirn, doch folgte seinem Ruf. Mit schnellen Schritten eilte ich zu ihm. Was genau hatte er entdeckt, dass er derart aufgeregt wirkte? Vielleicht war es ein seltenes Tier, allerdings müsste ich ihn dann enttäuschen, da wir vorläufig genug zu essen besaßen.

Nach ein paar Schritten stand ich neben Tirion und folgte seiner Geste. Mein Blick führte durch das Grün der Bäume hindurch und aus irgendeinem unerfindlichen Grund begann mein Herz schneller zu schlagen. Es pulsierte heftig und hämmerte hörbar gegen meine Rippen, als könnte es jeden Moment ein Loch in meine Brust reißen. Für einen kurzen Moment stockte mir der Atem, während ein seltsames Kribbeln durch meinen Körper fuhr, vergleichbar mit dem Prickeln von warmen Sonnenstrahlen auf kühler Haut.

Diese Reaktion irritierte mich etwas, doch als meine Nase den feinen Geruch von Magie vernahm, spannte ich meine Muskeln augenblicklich an. Es war ein seltsamer Duft, der meine Sinne kitzelte, allerdings konnte ich nicht sagen, welche Magie in der Luft lag. Im Gegensatz zu den anderen Flüchtlingen in meinem Dorf, hatte ich viel vom Krieg zwischen den vier Reichen  mitbekommen, weswegen ich einiges über Magie wusste, dennoch hatte ich nie etwas Vergleichbares gerochen. Es war süßlich, seltsam angenehm, ähnlich dem Duft von Blumen, die im Frühling in voller Blüte standen, doch gleichzeitig mischte sich ein widerlicher Beigeschmack dazu. Er war unangenehm und reizte meine Nase bis auf das Äußerste.

Von Neugierde und Unbehagen erfasst, schob ich ein paar Äste zur Seite. Mein Sichtfeld lichtete sich, während sich der Moment zog wie eine Zeitspanne von etlichen Jahren, doch als ich den Platz vor mir erkannte, verstand ich Tirions Reaktion.

Der fünfte GottWhere stories live. Discover now