Kapitel 15.2 - Mit dem Klang der Violine

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Ich wusste nicht einmal, ob ich Cyrian überhaupt aufhalten wollte, obwohl ich ganz genau sagen konnte, was gleich folgen würde. Es schien verwerflich, wenn ich daran dachte, wie es das erste Mal gewesen war, als Cyrians dunkle Seite die Kontrolle übernommen hatte. Das Massaker hatte sich in meinen Kopf gebrannt, als wäre es eine Narbe, die sich durch einen giftiger Pfeil in die Innenraum meines Schädels geritzt hatte. Noch immer schien mir das Bild so real wie etwas, das gerade erst passiert war. So echt schien das Blut, die zertrümmerten Knochen, die Gedärme auf dem Schlachtfeld, das ich mein Zuhause nannte.

Mir drehte sich der Magen um, während ich schweigend beobachtete, wie Cyrian weiter auf die beiden Männer zuging. Noch immer hatte er keinen Ton von sich gegeben, nur ein leises Geräusch ertönte jedes Mal, wenn er einen weiteren Schritt machte. Mit jedem Zentimeter, den er überbrückte, schien die Spannung ins Unermessliche zu steigen und noch immer kämpfte ich mit mir, ob ich ihn aufhalten sollte. Andererseits sollten beiden auch mit den Konsequenzen leben ein wehrloses Kind zu verprügeln. Solche Leute waren der letzte Abschaum und verdienten es nicht sich Menschen zu nennen. Mein Entschluss stand fest, dass ich ihn erst aufhalten würde, wenn er versuchen würde, jemanden zu töten.

Mittlerweile trennte ihn kein Meter mehr von den beiden Männern und als sie sich zu ihm umdrehten, schien sich die Atmosphäre zu elektrisieren. Automatisch pumpte das Blut schneller durch meine Adern und während mein Herz einen Schlag aussetzte, steigerte sich der Rhythmus meiner Atmung.

»Mhm? Was willst du?«, meldete sich der Blonde zu Wort und richtete sich wieder auf. Den Jungen ließ er achtlos und in halber Ohnmacht liegen.

Auch sein Kamerad baute sich vor dem Zeitgott auf und schaute bedrohlich auf ihn hinab. Ihre Augen blitzten auf, wie die eines ausgehungerten Löwen, der soeben eine verwundete Gazelle entdeckt hatte. Dabei drohten sie ihm mit Fäusten und da ich wusste, was ihnen blühte, hätten sie mir beinahe leid getan.

Tatsächlich ließ sich der fünfte Gott nicht davon beeindrucken und hob seelenruhig die Violine auf, die zerbrochen im Dreck lag. Seine ungewöhnliche Reaktion löste Verwirrung aus und die beiden Freunde tauschten fragende Blicke aus. Kurz lockerte sich ihre Haltung, während Cyrian nur Augen für das Instrument haben zu schien.

Zu meinem Schrecken färbten sich seine Haare im nächsten Moment zu dem altbekannten Silber und auch seine Iriden versprühten dieselbe Magie, die sie vor der Einnahme des Trankes gezeigt hatten. Als wären seine Kräfte nie unterdrückt worden, erstrahlten sie in voller Stärke, dennoch tanzte ein Eissturm hinter ihren Fassaden. Kalt und motionslos, nahezu psychopathisch schimmerte es in seinen Seelenspiegeln. Ein Blick, der einem tyrannischen Drachen gleich kam, der sich an dem Leid seiner Mitmenschen erfreute.

Im selben Augenblick erfasste meine Seele unsere Verbindung und tastete vorsichtig sein Gemüt ab, nur um zu erkennen, dass seine dunkle Seite zwar anwesend war, doch bei weitem nicht so präsent wie auf dem Schlachtfeld in Akelicis. Es kam mir vor, wie ein schwacher Abklang des Fluches, obwohl der Wahnsinn in seinen Augen unverkennbar blieb.

Zorn entflammte die Herzen der beiden Männer, nachdem sie nicht die Beachtung bekommen hatten, die sie für angemessen hielten. Entrüstet legte sich ihre Stirn in Falten, während der Jüngere auffordernd mit den Fingern knackte.

»Ein schönes Instrument«, flüsterte Cyrian und seine Stimme glich einer morgendlichen Brise, die zaghaft erklang, nur um sofort wieder zu verstummen. Ein Ton, der aus einer anderen Welt zu uns schallte und obwohl er derart leise und vergänglich wirkte, jagte mir eine Gänsehaut den Rücken hinunter.

»Wir haben dir eine Frage gestellt, Kleiner! Antworte oder hau ab!«, brachte sich nun der Jüngere ins Gespräch mit ein. Dennoch verrieten mir meine Instinkte, dass beide Angst empfanden. Auch sie hatten Cyrians plötzliche Veränderung mitbekommen und obwohl sie sie nicht zuordnen konnten, spürten sie deutlich, die dunkle Energie, die von ihm ausging.

Der fünfte GottWhere stories live. Discover now