Kapitel 3.2 - Brüllendes Blut

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Die Nacht war die reinste Hölle. Sekunde um Sekunde, Minute um Minute und doch fand ich keinen erlösenden Schlaf. Quälende Abschnitte voller Stunden, die sich aneinander reihten und doch kein Ende fanden. Als wären die Zeiger der Welt zum Stillstand gekommen und eine unendliche Nacht hätte unseren Planeten verschlungen. Es gab kein Entrinnen. Unsichtbare Ketten schlangen sich um das Gefüge von Raum und Zeit, machten jeden verstrichenen Moment umso länger und qualvoller.

Immer wieder versuchte ich mich tiefer in meine Decke einzukuscheln, als wäre sie das betäubende Mittel, das mich letztendlich schlafen ließ, doch egal, ob auf dem Rücken, Bauch oder Seite, mich überkam keine rettende Ruhe.

Seufzend schlug ich die Augen auf und starrte in die Dunkelheit meines Zimmers. Nur schwach erkannte ich die Umrisse meines Schranks, der neben meinem Bett Platz gefunden hatte, und die, der weiteren Tür, wohinter Schwerter und Bögen ihre Klingen aneinander schmiegten. Hätte ich meine Fähigkeit zur verbesserten Sicht eingesetzt, würde ich mit Sicherheit in einem spärlich beleuchteten Zimmer liegen, doch das hätte mich noch mehr am Schlafen gehindert.

Irgendwann zwang ich mich aufzustehen und das Fenster zu öffnen. Kühle Nachtluft strömte in das Zimmer. Ich lehnte mich etwas über die Fensterbank und blickte in den sternenklaren Himmel. Einzelne Punkte bildeten leuchtende Bilder, die einen silbernen Mond umrandeten, als würde er in einem Meer voller Sterne schwimmen.

Von fern hörte ich das Rascheln der Bäume und eine Eule stimmte leise Symphonien an. Der Geruch von Wald und Wiesen umspielte meine Nase und augenblicklich entspannte ich mich.

Erst als ein dumpfes Klopfen ertönte und leise Worte durch das Holz drangen, drehte ich mich erschocken um. Kurz verweilte ich in meiner Position, bevor mein Blick zu der Uhr wanderte, die über meinem Bett hing. Es war kurz nach Zwei. Wer also kam auf die Idee mich um diese späte Uhrzeit zu besuchen?

»Ich komme sofort«, antwortete ich gähnend, bevor ich das Fenster wieder schloss. Daraufhin zog ich mir meine Sachen an und warf mir meinen Mantel über, bevor ich schließlich die Tür öffnete. Tirion kam zum Vorschein, in dessen Hand eine Laterne hing. Das warme Licht warf einen Schein auf seine Ungebung und ermöglichte es mir, sein Gesicht zu erkennen. Trotz der Flamme waren seine Pupillen geweitet, während breites Grinsen seine Lippen umspielte.

»Tirion?«, hakte ich nach und rieb mir mit der rechten Hand übers Gesicht, ganz so, als wäre er eine Illusion, doch meine Augen täuschten mich nicht. Was wollte er?

Während ich noch versuchte die Situation zu begreifen, genehmigte er mir keinerlei Zeit, um meine Verwunderung abzulegen. So begann er zu reden und sein Tonfall offenbarte sich mir als ein Wasserfall an Wörtern: »Gut, dass du noch wach bist, Pandora. Ich hatte schon befürchtet dich zu wecken, aber ich konnte einfach nicht länger warten.« In seiner Stimme schwang derart viel Euphorie mit, dass man hätte glauben können, die vier Götter erlangten ihre Vernunft wieder.

»Was machst du hier?«, platzte es schließlich aus mir heraus, doch auch das bremste seine unbändige Freude nicht.

»Ich habe gehört, was du mit dem Ältesten beredet hast«, fing er nach einem kurzen Stocken an, aber auch dieses Mal unterbrach ich ihn.

»Du hast was?«, kam es sprachlos aus meiner Kehle, während sich meine Augen geschockt weiteten. Sofort verspannte sich mein Körper. Zeitgleich malte sich mein Kopf allerlei Szenarien aus. Warum genau hatte Tirion uns belauscht und auf welche Ideen hatte ihn unser Gespräch gebracht? Zwar hatte er anfangs die Echtheit der Stimme bezweifelt, doch eine Bestätigung aus Galchas Mund zu hören, würde diesen Zweifel mühelos ausräumen.

Schließlich schlug es in mich ein wie ein Blitz und der Gedanke, der wie ein Gift meine Muskeln paralysierte, war keinesfalls erfreulich. Er war gezeichnet von kindlichem Leichtsinn und nagte an der Grenze zum Wahnsinn.

Der fünfte GottHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin