Kapitel 6.1 - Eiskalter Abyss

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Eiskalter Abyss

Kaum hatte ich die Situation verstanden, machte ich einen Satz nach hinten. Im selben Moment begann mein Herz zu rasen, während mein Verstand panisch Alarm schlug.

Er war es. Das hatte er mir mehr als nur zu verstehen gegeben, denn anders als bei Heilungsmagie verschwand die Wunde nicht einfach, sondern bildete eine feine Narbe, die sich beinahe unsichtbar durch meine Haut zog. Cyrian hatte die Zeit manipuliert und somit die Genesung beschleunigt.

Mit aufgerissenen Augen starrte ich den Gott vor mir an. Er hatte sich nicht bewegt, nur die Gesichtszüge waren ihm entglitten und zeigten eine erschrockene Miene. Überfordert, wie er reagieren sollte, machte er einen Schritt auf mich zu, doch sofort wich ich weiter zurück und begab mich in eine Verteidigungsposition.

Obwohl ich es nur ungern zugab, Galcha hatte mit der Legende recht gehabt, dennoch würde ich Cyrian nicht blind vertrauen, immerhin war er ein Verbrecher von einem Kaliber, an das kein anderer Krimineller heranreichte.

»Pandora, lass mich...«, begann der silberhaarige Mann, doch noch bevor er aussprechen konnte, erhob ich selbst die Stimme.

»Nein, ich will nichts hören. Denkst du wirklich, ich wüsste nichts vom zweiten Götterkrieg und all den Sünden, die du begangen hast? Du wolltest dein eigen Fleisch und Blut töten«, brüllte ich ihn an und meine Stimme schallte über die unendliche Weite des Feldes.

Kaum war das letzte Wort über meine Lippen gekommen, verstummte Cyrian und etwas Trauriges mischte sich in seinen Iriden. Seine Hand, die er zuvor noch nach mir ausgestreckt hatte, verschwand wieder in seinen Manteltaschen und vorsichtshalber machte er einen Schritt zurück. Dabei zitterte seine Bewegungen und es schien fast so, als hätte ich alte Wunden aufgerissen.

»Verzeih«, murmelte der Zeitgott und seine Stimme war so leise und vergänglich, als könnte sie von einem einzigen Windstoß vergessen gemacht werden. Gleichzeitig mied er meine Blicke, so blickte er betrübt zu Boden, unfähig mir in die Augen zu sehen.

Dass Cyrian mich nicht angriff, wie ich eigentlich vermutet hatte, war nur ein kleiner Trost, der schnell von bösartigen Szenarien verschlungen wurde. Die Legende um den zweiten Götterkrieg besagte, dass der Göttervater, der Schöpfer Cytrons, gegen seinen bösen Bruder, dem dunklen Gott, einen erbitterten Krieg geführt hatte. Erfüllt von Hass wollte der dunkle Gott den Göttervater von seinem Thron stoßen, um als Tyrann zu regieren und bei seiner Rebellion unterstützte ihn niemand anderes als Cyrian. Es war sogar soweit gekommen, dass sich der Göttervater und der dunkle Gott gegenseitig ermordetet hatten, womit die vier Kinder die Herrschaft erlangten. Tatsächlich hatten diese, die Existenz eines dunklen Gottes bestätigt, nur zum Zeitgott hatten sie sich nie ausgesprochen, wodurch Cyrian schließlich zum Mythos wurde.

»Stimmt es, dass du dem dunklen Gott geholfen hast?«, hakte ich nach, während meine Blicke seinen Körper abtasteten. Zwar machte er keine Anstalten mich zu verletzen, doch ich stand noch immer einem Gott gegenüber. Wenn ich seine Macht unterschätzen würde, könnte ich mir gleich mein eigenes Grab schaufeln.

Weiterhin mied Cyrian meine Blicke und starrte zu Boden. Dabei fielen einzelne Strähnen seines Haares nach vorne, sodass ich nicht viel mehr erkennen konnte, als seine Haut, die deutlich an Farbe verloren hatte.

Erst, als ich keine Antwort bekam, begann ich meine Reaktion zu überdenken. Im Gegensatz zu ihm war ich nämlich nicht Teil des zweiten Götterkriegs gewesen. Es musste schrecklich gewesen sein, zumal sie alle eine große Familie waren. Vielleicht hatte Galcha doch recht?

Nein. Gedanklich schüttelte ich den Kopf. Selbst wenn er gezwungen wurde, müsste er trotz allem Hass auf seine Geschwister spüren, immerhin waren sie es, die ihn in den Abyss eingesperrt hatten, um dem Krieg endlich ein Ende zu setzen. Selbst ein Gott war am Ende des Tages nur ein Lebewesen, es konnte nicht einfach so an ihm vorbeigegangen sein.

»Ich verstehe, warum du reagierst. Was anderes hätte ich nicht erwarten sollen, immerhin habe ich viele Fehler begangen«, flüsterte Cyrian schließlich und die Trauer, die in jedem seiner Worte lag, erwärmte mein Herz, trotz der eiskalten Mauer von grausamen Szenarien, die es vor sinnlosen Mitgefühl geschützt hatte, »Aber bitte, höre mich an.«

Für einen kurzen Moment war ich in Versuchung gekommen, seiner Bitte nachzugehen, doch genauso schnell, wie dieser Gedanke erschienen war, verschwand er wieder und ich rief mir ins Gedächtnis zurück, mit wem ich redete. Er könnte mich genauso gut anlügen und seine Trauer nur vortäuschen.

»Warum sollte ich das tun?«, fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen und beobachtete genauestens, wie Cyrian neuen Mut schöpfte und seinen Blick wieder erhob.

»Weil«, begann er und riss sich sichtlich zusammen, »Du mir etwas schuldig bist.«

»Wie bitte?«, platzte es in einer unaufmerksamen Sekunde aus mir heraus, »Wieso das denn?«

Cyrian richtete seine Haltung und räusperte sich: »Ich habe dich vor dem Schatten gerettet und deine Wunde geheilt.«

Auch wenn ich es am liebsten leugnen würde, so sprach er doch die Wahrheit. Jetzt, wo ich zurückdachte, ergab auch die seltsame Macht einen Sinn, die mich während des Kampfes durchflutet hatte. Es war seine Kraft gewesen, die in meinen Adern gebrodelt hatte. Wenn es auch Cyrians Stimme gewesen war, die mich am Vortag so unverfroren gerufen hatte, dann würde das auch meinen veränderten Energiefluss erklären, den Galcha festgestellt hatte.

»Das warst du?«, hakte ich nach und zog die Augenbrauen zusammen.

Cyrian nickte und nahm mir die nächste Frage gleich vorweg: »Und die Stimme auch.«

Hörbar atmete ich ein und füllte meine Lungen mit frischer Luft. Plötzlich ergab alles einen Sinn und egal wie man es drehte und wendete, ich stand in seiner Schuld. Natürlich machte die Tatsache, dass er mich gerettet hatte, ihn nicht gleich zu einem Guten, doch ich wusste, wann ich jemandem etwas schuldig war und das war ich ihm definitiv.

Nach einem kurzen Zögern, in dem ich die Vorteile und Nachteile gegeneinander abwog und schließlich beschloss mein Gewissen zu besänftigen, nahm ich vorsichtig die Hände runter und nickte: »Ich höre dir zu.«

Kaum hatte Cyrian das letzte Wort vernommen, hellte sich seine Miene auf. Ein Lächeln zierte sein Gesicht. »Danke«, sprach er mit so viel Aufrichtigkeit in seiner Stimme, dass ich mich abermals fragte, ob das alles noch Schauspielerei sein konnte.

»Aber damit ist meine Schuld beglichen, ja?«, ergänzte ich noch schnell und verschränkte die Arme, während mein Fuß ungeduldig auf und ab tippte.

Cyrian klatschte in die Hände: »Natürlich.«

Für einen Moment verfielen wir dem Schweigen und ein Funken Neugierde entfachte in meinem Herzen, doch im nächsten Moment verschwand Cyrians Grinsen, so schnell, wie ein Blitz den Himmel spalten konnte. Sein Ausdruck wandelte sich zu einer ersten Miene und seine nächsten Worte prägten mein Leben.

»Ich möchte dich als meine Verwandte.«

Der fünfte GottOnde as histórias ganham vida. Descobre agora