Kapitel 2.1 - Das Dorf der Hoffnung

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Das Dorf der Hoffnung

Während unseres Rückwegs spürte ich stetig die stechenden Blicke Tirions in meinem Nacken. Sie durchbohrten mich, wie etliche Nadeln, die sich durch alle Schichten meiner Haut zogen.

»Er sorgt sich nur um mich«, versuchte ich mich immer wieder zu beruhigen, doch wirklich zufriedenstellen konnte mich der Gedanke nicht. Hoffentlich hatte er nicht sämtliche Achtung vor mir verloren, immerhin bezog sich seine Bewunderung nur auf meine Künste. Ob mein Charakter ansprechend war, wusste ich nicht und es wäre mir auch egal gewesen, wenn die Bewohner unseres Dorfes nicht alle, wie eine riesige Familie für mich wären. Sie sollten nicht den Respekt vor mir verlieren, da ich gerade für die Jüngeren ein wichtiges Vorbild war. Ich durfte den Kleinen nicht das Leben schwerer machen, als es für sie überhaupt war.

Ich seufzte und ging weiter in Richtung Norden, bis schließlich, zwischen ein paar herabhängenden Ästen, die hölzernen Fassaden einiger Häuser auftauchten.

Augenblicklich hellte sich meine Miene auf, während Tirion nochmals einen Zahn zulegte. Ich sollte mir keinen Kopf machen. Was war schon dabei, wenn ich mich erschreckte? Es war nur menschlich und auch ich konnte nicht immer perfekt sein. Nicht, dass ich es jemals war.

Nachdem mein Begleiter aufgeholt hatte, betraten wir einen ausgetrampelten Weg, der sich entlang einiger Hütten schlängelte. Die Häuser bestanden allesamt aus Holz, das wir mit unseren eigenen Händen gefällt hatten. Nur die Schornsteine waren aus massivem Stein, wobei sich hier und da feiner Rauch in den hellblauen Himmel emporschlängelte.

Kinder liefen den Pfad entlang, lachten und spielten mit einem Ball aus Schweinsleder, den sie selbst genäht hatten. Im hohen Bogen flog der Ball und die Kinder rannten ihm stetig hinterher.

Selbst von fern erkannte ich sie. Die drei waren Flüchtlinge, die erst neu zu uns gestoßen waren. Die beiden Mädchen und der Junge hatten ihre Eltern im Krieg verloren und Zuflucht bei uns gesucht. Unser Dorf, wir nannten es Akelicis, war ein Ort, in dem jeder Schutz fand, der auf dem Schlachtfeld alles verloren hatte. Da wir tief im Wald lebten, blieben wir hier von allen Grausamkeiten verschont. Aufruhr gab es nur selten und wenn doch, konnten wir mit vereinen Kräften die Gefahr stets abwenden. Es war kein erfülltes Leben, aber ein glückliches. Nichts machte mich zufriedener, als bei ihnen zu sein. Sie waren meine Familie, die ich nicht in blutigen Schlachten sterben sehen hatte.

»Pandora und Tirion sind wieder da!«, hallte es plötzlich zu uns hinüber, als die Geschwister auf uns zu rannten. Sie alle trugen ein Lächeln auf ihren Lippen und obwohl sie in schmutzigen und zerlumpten Klamotten steckten, die selbst nicht mehr durch eine Wäsche gerettet werden könnten, erstrahlte ihr Grinsen wie der Mond in finsterer Nacht.

Avril, eine junge Frau, mit kurzem feuerroten Haar, die unser Dorf bewohnte, hatte versprochen ihnen neue Kleidung zu nähen, sobald ihr Mann aus der Stadt wiederkam. Zwar besaßen wir hier im Wald alles, was wir zum Leben benötigten, doch für besondere Einkäufe begab sich manchmal jemand hinaus, um in der nächstgelegenen Stadt einzukaufen.

Kaum hatte ich meinen Gedankengang beendet, stoppten die Kinder vor mir, während sich der Junge umdrehte, um aus voller Kehle die Nachricht unserer Wiederkehr erneut durchs Dorf schallen zu lassen. Währenddessen wurde Tirion von seiner kleinen Schwester Flora umarmt. Sie vergrub ihr Gesicht in seinem Shirt, wobei sich ihre kleinen Hände an sein Hemd klammerten. Dabei zuckten die Fuchsohren zwischen dem langen, kastanienbraunen Haar freudig.

Im Gegensatz zu ihren Geschwistern Xuan und Nerina, war Flora ein Converter. Converter waren Menschen, die unabhängig ihrer Abstammung einen Pakt mit einem Tier eingegangen waren. In meisten Fällen geschieht dieser Prozess noch vor der Geburt, wodurch sie mit den spezifischen Merkmalen ihres Vertragspartners zu Welt kommen. Dementsprechend verfügten sie über die Vorteile, aber auch Nachteile ihres jeweiligen Tiers. Es heißt, dass besonders starke Converter gänzlich zwischen Menschen- und Tiergestalt entscheiden können, doch von den vierzig Prozent der Weltbevölkerung, die die Converter ausmachten, war das nur eine überschaubare Anzahl.

Der fünfte GottWo Geschichten leben. Entdecke jetzt