Kapitel 11

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Anstatt den Weg zu dem Zimmer einzuschlagen in dem ich erwacht bin, geht Quinn eine Treppe weiter hinauf. Vor uns erstreckt sich ein kleiner Flur, von dem lediglich drei hölzerne Türen abgehen. Quinn bringt mich zu der Tür zu meiner rechten Seite und öffnet sie. Hinter ihr kommt ein riesiger Raum zum Vorschein, der mit weißen Fliesen ausgekleidet ist. 

Von dem Becken in der Mitte steigt leichter Dampf auf, der die Luftfeuchte im Raum ansteigen lässt. Es wirkte eher wie ein Hallenbad, anstatt eines einfachen Bades. Quinn zog wortlos Schuhe und Socken aus, bevor er zu einem Regal an der Wand zu seiner Linken ging. Noch immer staunend folgte ich seinem Beispiel. Doch anstatt zu Quinn zu gehen, konnte ich der Verlockung einen Finger in das Wasser zu tauchen nicht widerstehen. Es war angenehm warm, sodass ich mich am liebsten direkt ausgezogen und hineingelegt hätte.

"Das ganze Haus hat dem Wächter der Sterne gehört, aber das hier oben war schon immer deine eigene Etage gewesen", begann Quinn plötzlich und kam mit mehreren Fläschchen und einem Verband auf mich zu. "Ich bin mir sicher, dass du viele Fragen an mich hast", meinte er sanft lächelnd und setzte sich mir gegenüber.

"Stimmt", bestätigte ich und hielt ihm meinen Arm hin. Quinn war ziemlich empört gewesen als ich ihm erzählt hatte, dass ich ohne eine Waffe zu einem Wolf gegangen bin und ihm das Metallstück aus der Pfote gezogen hatte. Ich glaube am liebsten hätte Quinn mir in diesem Moment für meine Dummheit eine runtergehauen, stattdessen jedoch hatte die Flamme an Volumen und Licht zugenommen.

"Dann schieß mal los", seufzte er und verzog das Gesicht, als er den Biss betrachtete. Das Blut verdeckte einen Großteil der Wunde, aber man konnte erkennen, dass sie ziemlich tief war und die Ränder waren leicht ausgefranst. Kein schöner Anblick, vor allem, wenn man noch dazu den Schmerz spürte. Schnell wandte ich mich ab und konzentrierte mich auf die erste Frage.

"Was haben wir miteinander zu tun?"

"Wir sind...", er stockte, "Wir waren beste Freunde und haben oft zusammen gespielt. Kannst du dich wirklich an nichts davon erinnern?" Er klingt gleichermaßen verletzt wie verzweifelt, auch ein Hauch Fassungslosigkeit findet sich in seiner Stimme wieder. Das ich schon anhand Quinn's Stimme seine Emotionen ablesen kann, zeugt davon, dass wir uns einmal sehr nahe gestanden haben müssen.

"Nein, leider nicht. Ich habe lediglich eine kleine Momentaufnahme von uns, die ich während meiner Ohnmacht gesehen habe." Ich bedauerte es mich nicht mehr an diese Zeit erinnern zu können. Wer weiß, ob ich noch mehr Freunde oder wunderschöne Momente vergessen habe? Vielleicht hätte ich dann jetzt schon mehr Antworten auf meine Fragen? Aber sicher habe ich die Zeit hier nicht ohne Grund vergessen, zumindest hoffe ich das.

"Was hat der Wächter der Sterne mit mir zu tun?", fragte ich als nächstes. Als Quinn etwas über meinen Arm schüttete brannte es wie Feuer und ich zischte auf, während ich automatisch versuchte meinen Arm aus seinem Griff zu winden. "Halt still", murmelte dieser lediglich und hielt meinen Arm weiter fest. Es fühlte sich an, als wäre seine Hand ein Schaubstock. Ich warf einen Blick auf meinen Arm und erkannte, dass er mir den Inhalt irgendeiner dieser kleinen Flaschen über den Arm gekippt hatte. Bestimmt Alkohol, als alternatives Desinfektionsmittel.

Quinn lenkt mich durch seine Worte ab. "Lucas war...er war dein Vater und bevor du mir jetzt in das Wort fällst, lass mich bitte ausreden. Deine Mutter war mit meiner sehr gut befreundet und sie sind praktisch Nachbarn gewesen. Meine Mom hat mir erzählt, dass dein Vater damals den kranken Wächter des Feuers besuchen wollte und daher nach Heros gekommen ist. Deine Mutter hat sich wohl Hals über Kopf in ihn verliebt und ihm schien es nicht anders zu gehen. Als er wieder zurück musste, ist sie da geblieben, ohne zu wissen, dass sie schwanger war. Meine Mom war im vierten Monat mit mir, als sie merkte, dass ihre Freundin ebenfalls schwanger war und verständigte deinen Vater."

Quinn machte eine Pause und setzt einen konzentrierten Blick auf, bevor er mir noch etwas auf den Biss träufelte, wodurch sich wie von Zauberhand die Wunde zum Teil schloss. Bestimmt war hier auch Magie im Spiel. Danach legte er mir ein Blatt auf die Verletzung und fing an sie zu verbinden, während er fortfuhr.

"Lucas hat sich dann eine Auszeit von drei Jahren genommen, bevor ihr dann umgezogen seid und zwar hier her. Wir haben euch oft besucht, aber dann ist deine Mutter immer seltener hier gewesen und öfter in der Menschenwelt bis etwas passierte, von dem niemand so genau weiß, was es war. Kurz darauf ist dein Vater verschwunden und deine Mutter ist in der Menschenwelt geblieben. Ich weiß nicht, was mit deinen Erinnerungen passiert ist oder warum deine Mutter dir nie etwas erzählt hat", beendete er seine Erklärung. 

Einen Moment lang herrschte vollkommenes schweigen, ehe der Sturm über mich hereinbrach. Wie war das möglich? Wenn meine Mum nie in der Welt der Menschen gewesen ist, wer war dann Antonio? Wie konnte ich so viel vergessen und zeitgleich Erinnerungen besitzen, die aus meinen Kindertagen waren und genau in diesen Zeitraum fielen? Meine Verwirrtheit schien Quinn mir anzusehen, denn er sagte: "Ich glaube es ist besser, wenn du erst einmal eine Nacht darüber schläfst und wir Morgen weiterreden. Aber zuvor solltest du noch baden gehen."

Ohne mich über diesen lieb verpackten Hinweis, dass ich Scheiße aussehe, aufzuregen, stehe ich seufzend auf. Immerhin hat Quinn Recht. Es war schon spät und ich hatte wirklich keinen Nerv mehr für weitere Überraschungen oder noch mehr Chaos. 

"Danke, dass du mir geholfen hast", bedankte ich mich und umarmte ihn einfach. Quinn war für einen Moment überrumpelt, ehe er seine Arme ebenfalls um mich schloss. Quinn roch nach Pfefferminz mit einem Hauch von Rauch.

"Kein Problem", erwiderte er. "Ich habe dich vermisst." Er drückte mich noch etwas fester an mich, doch anstatt dass ich mich wohl fühlte, wurde ich plötzlich traurig. Antonio hatte mich auch immer so umarmt. Was sie wohl denken? Ob sie glauben, dass ich im Feuer zusammen mit Blake verbrannt bin? Was ist mit Jo und Belle und Mike? Es zerbricht mir das Herz, dass meine Familie vermutlich gerade um ihre niemals verstorbene Tochter trauern. Mein Dad wird vor Kummer die ganze Zeit am Fenster stehen und Tee trinken, während er hofft, dass ich wiederkomme.

Seufzend löste ich mich von meinem alten Freund und scheuchte ihn hinaus, damit ich baden konnte.

~*~

Nach dem erholenden und ebenso ermüdenden Bad tapste ich lediglich mit einem Handtuch bekleidet und meinen Klamotten unterm Arm durch den Flur und öffnete die Tür in der Mitte. In der Dunkelheit konnte ich hohe Regale erkennen, jedoch nicht viel mehr. Da ich zu müde war, um diesen Raum jetzt noch genauer zu erkunden, schloss ich die Tür wieder und nahm mir vor das Zimmer morgen zu durchstöbern.

Ich ging zu der letzten Tür in diesem Flur und öffnete sie. Hinter ihr befand sich ein großer Raum mit einem Bett, welches so gut wie die ganze linke Wand einnahm. Direkt rechts neben der Tür war ein kleines Brett angebracht auf dem ein Leuchter stand mit einer kleinen Streichholzschachtel daneben. Also klemmte ich das Handtuch fest und brannte die Kerzen an.

Sie breiteten ihr angenehmes Licht im Raum aus und erhellten den Schreibtisch, der sich unter ihnen befand. An der Gegenüberliegenden Wand erkannte ich erst jetzt das große, mittige Fenster, dessen schwarze Vorhänge zugezogen waren. Da ich gern mit offenem Fenster schlief, ging ich hinüber, zog die Vorhänge beiseite und öffnete es. 

Durch den Mond drang noch mehr Licht in das Zimmer und ich stellte fest, dass es noch lange nicht so staubig war, wie ich es nach fast zehn Jahren erwartete. Auch das Bett schien frisch mit einfacher blauer Bettwäsche überzogen. Ich ließ die Anziehsachen darauf fallen und widmete mich den Schränken an der Wand gegenüber. Einer war ein leeres Regal, an dem sich bündig der Kleiderschrank anschloss. Beide nahmen 50% der Wand ein.

In dem Schrank befanden sich keine Klamotten für siebenjährige, sondern für mich. Es hing dort ein Kleid, irgendwelche schwarzen Sachen, Gürtel, Schwertscheiden und ein Köcher. In den Fächern auf der rechten Seite kamen mir die Sachen bekannt vor, denn diese kamen aus meinem Zimmer zu Hause. Bestimmt hatte sie jemand hier hergebracht. 

Ohne mir jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen, schlüpfte ich in eine Unterhose und ein T-Shirt, bevor ich die alten Klamotten einfach auf den Schreibtischstuhl schmiss, um mich in das Bett legen zu können. Es dauerte etwas, bis ich zur Ruhe kam und endlich einschlafen konnte, aber wenigstens hatte ich einen traumlosen Schlaf.

Die Tochter der SterneWhere stories live. Discover now