Kapitel 33

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"Jo, beruhig dich", rief ich und rutschte in Richtung Wand. So langsam wurde sie mir unheimlich, vor allem da sie anscheinend bereit war mich zu verletzen. "Ich habe nicht in deiner Seele herumgepfuscht. Ich habe bloß..."

"Und das soll ich dir glauben?!", unterbrach Jo mich. Ihr Gesicht war wutverzerrt, obwohl sie noch immer leicht zitterte. "So etwas würde ich niemals tun!", rief ich aufgebracht. Ich konnte mich einfach nicht davon abbringen Jo zu mögen oder sie retten zu wollen. Sie war immer noch meine Freundin, ob sie es wollte oder nicht. "Bitte lass mich frei. Wir können über alles reden u..."

"Reden?!", schrie Jo. "Wie oft habe ich versucht, mit jemandem zu reden, aber niemand hat mir zugehört! Ich habe es satt zu reden! Es muss endlich mal etwas passieren!" Sie kam auf mich zu, die Hand noch immer vor sich ausgestreckt. "Du bist die Einzige, die meinen Plan jetzt noch durchkreuzen kann, aber das lasse ich nicht zu!" Ihre Stimme war zu einem bedrohlichem Zischen geworden, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. Dieses Mädchen vor mir war nicht mehr Jo. Dieses Mädchen war eine Fremde mit irrem Blick.

"Jo, b-bitte. Was hast du vor?", fragte ich und versuchte ihr irgendwie auszuweichen. Panik machte sich in mir breit und ich konnte nichts dagegen tun. Wollte sie mich umbringen? Die Ketten klapperten und erinnerten mich an meine aussichtslose Lage, während meine ehemalige Freundin immer näher kam.

"Ich werde das hier ein für alle mal beenden", flüsterte sie und ihre langen, schlanken Finger legten sich um meinen Hals. Nein! Ich musste doch die Anderen retten und ich musste Jo zurückbringen. Eine Träne lief mir über die Wange, was Johanna für eine Sekunde lang zögern ließ. "B-bitte tu das nicht Jo!", bat ich sie, doch dieser kurze Moment war auch schon wieder vorbei. Die ehemaligen frohen, strahlenden blauen Augen, waren nun leer und kalt wie Eis.

Ihre Finger drückten zu, sodass ich immer weniger Luft bekam. "Jo", presste ich heraus und versuchte sie irgendwie zu erreichen. Doch es half nichts. Ich legte beide Hände um ihren Arm, aber ich war schon zu schwach, um noch etwas auszurichten. Mein Blickfeld wurde immer dunkler und meine Lungen fingen an zu schmerzen. Es tat einfach nur alles weh. Plötzlich sah ich wieder diesen hellen Punkt vor mir aus Jos Seele und dieses Mal ließ ich keine Sekunde verstreichen und griff nach ihm.

Plötzlich wurde mein Herz angenehm warm und diese Wärme breitete sich immer weiter aus. In der ersten Sekunde dachte ich, dass nun alles zu spät war und ich nun starb, aber es wurde nicht dunkel. Das Gegenteil geschah. Es wurde alles hell und warm. Als das Licht meine Fingerspitzen erreichte und auf den Punkt überging, fing dieser an zu strahlen, ehe er in Licht explodierte. Jo's Seele war auf einen Schlag nur noch mit Licht durchflutet und ihre Hand ließ von mir ab. Wie eine Marionette, bei der man alle Fäden durchtrennt hatte, fiel sie zu Boden. Aber das war nichts schlimmes, wusste ich instinktiv.

Ich selbst ging aber nicht zu Boden. Ich schwebte immer weiter gen Decke und wie ein Geist konnte ich durch sie hindurch schweben. Mein gesamter Körper strahlte und die Wärme schien nach außen dringen zu wollen. Ich würde sie nicht mehr lang halten können. Es fühlte sich an als wäre ich ein Ballon, der jeden Moment platzen würde, wenn er weiterhin aufgeblasen würde.

"Lass los. Es wird alles gut. Du musst nur los lassen." Mein Vater tauchte vor mir auf und streckte die Hand nach mir aus. Verunsichert schaute ich ihn an. "Du brauchst keine Angst haben. Ich bin da." Ich nahm seine Hand. All die Wärme und all das Licht brach aus mir hervor. Man könnte es mit einer Explosion vergleichen. Ich atmete auf. Danach ließ ich mich einfach fallen.

~*~

Das erste, was mir in den Sinn kam, als ich aufwachte, war Jo, doch diese war verschwunden, ebenso wie das alte Haus. Ich befand mich in einem Bett in einem Zelt. Meine Erinnerungen an das, was vor meiner Ohnmacht geschehen war, waren  verschwommen. Eine Weile lang lag ich einfach nur da und starrte die Decke an. Ich versuchte, alles was geschehen war, irgendwie einzuordnen, aber es gelang mir nicht wirklich.

Seufzend setzte ich mich auf und rieb mir die Stirn. Ich trug noch immer dieselbe Kleidung, jedoch hatte man die Jacke entfernt. Von dem T-Shirt hatte man den verbrannten Ärmel abgetrennt und mir die Schulter verbunden. Vorsichtig schlug ich die Decke zurück, bevor ich aufstand. Meine Schulter brannte noch, obwohl ich sie nicht einmal bewegt hatte. Dennoch musste ich meine Freunden sehen, um zu wissen, ob es ihnen gut ging. Aber vor allem wollte ich nach Jo sehen.

Ich schlug die Zeltklappe zurück und sah in blendendes Sonnenlicht. Anscheinend war die Nacht schon vorüber und der frühe nächste Morgen war angebrochen. Ich war nicht weit entfernt von Tyrus Zelt, weshalb ich beschloss, erst nach ihm zu sehen. Als ich jedoch das Innere des Zeltes betrat waren dort alle versammelt. Alischan, Tyrus, Quinn, Blake und überraschenderweise auch Salviar und Namila. Ich stand gerade mal mit einem Bein im Zelt als alle auf mich zustürmten. Blake zog mich fest in die Arme und alle redeten durcheinander, doch ich hörte nicht was sie sagten. Das wichtigste war, dass es ihnen allen gut ging und auch dass Tyrus noch am leben war.

Doch irgendwann wurde die Luft knapp in Blakes Umarmung. "Du erdrückst mich", murmelte ich und er ließ mich auf der Stelle los. "Tut mir Leid", entschuldigte er sich auf der Stelle. "Ich bin so froh das es dir gut geht." 

"Ich auch", lächelte ich. Nachdem sich alle vergewissert hatten das es mir gut ging, entschuldigte sich Salviar immer wieder. Er wusste, dass er seine Schuld damit nicht begleichen konnte und noch eine Bestrafung auf ihn zukommen würde, aber eine Entschuldigung war ein Anfang.

"Was machen wir mit ihr?", fragte Alischan und deutete auf eine Person, die in der Mitte des Zeltes auf Felle gebettet war. Erst jetzt erkannte ich das es Jo war. Ihre Züge schienen friedlich und ihre goldenen Haare umrahmten ihr Gesicht. Sie sah fast aus wie ein schlafender Engel. Ich ging zu ihr und strich ihr über den Kopf. Trotz allem war sie noch immer meine Freundin.

Meine Freunde waren mir gefolgt und stellten sich um uns herum auf. "Es liegt bei dir was mit ihr passiert", sagte Tyrus und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich lächelte. Ich brauchte nicht eine Sekunde, um ihr Schicksal zu wählen. "Dann erfüllen wir ihr ihren letzten Wunsch", sagte ich und blickte Tyrus an. "Sie will frei sein, aber dafür muss sie ihre Vergangenheit loslassen und vergessen."

Tyrus erwiderte meinen Blick und nickte. Er wusste was zu tun war.

Die Tochter der SterneWhere stories live. Discover now