Kapitel 16

64 2 2
                                    

Sobald ich die Augen wieder geöffnet hatte, fuhr ich in die Höhe. Noch immer stand mir Schweiß auf der Stirn und mein Herz klopfte ungewöhnlich schnell. Zuerst sah ich mich nach Tyrus um. Als ich ihn auf dem Sessel entdeckte, wäre ich am liebsten auf ihn zu gerannt und hätte ihn umarmt. Ich konnte mich nur knapp zurückhalten.

Jetzt wo das Adrenalin wieder langsam aus meinem Körper wich, spürte ich die Erschöpfung. Langsam setzte ich mich wieder auf das Sofa und überprüfte meinen Körper noch einmal auf irgendwelche Wunden. Das alles hatte sich so real angefühlt. Ein Schauer lief mir über den Rücken als ich begriff, dass ich eben sozusagen gestorben bin.

Oh Gott. Ich glaubte, dass ich nun eine Menge zu verarbeiten habe. Zusätzlich zu dem Chaos in meinem Kopf kam nun auch noch ein Geheimnis und ein ominöser Krieg. Aber wer sollte einen Krieg wollen? Natürlich ist mir schon seit geraumer Zeit aufgefallen, dass es Spannungen zwischen dem Feuer- und Wasservolk gibt und dass Tyrus und Salviar sich strikt mieden. Aber ein Krieg? So ernst hatte ich die Lage nicht eingeschätzt. Vor allem hatte ich nicht erwartet, dass Tyrus seinen eigenen Tod miterlebt hat.

Ich schaute auf und musterte den Wächter. Er sah ebenso erschöpft aus wie ich, wenn nicht noch etwas schlimmer. Es muss schrecklich sein das Ganze erneut zu durchleben. Sicherlich zehrt das auch an seinen Kräften, vor allem das Wirken von Magie.

"Verstehst du jetzt, warum ich es nicht erzählen kann", fragte er als er meinen Blick auffing. "Salviar ist der Wächter der Gefühle und ebenso wie das Wasser, schwanken diese sehr leicht. Manchmal ist es, als würde man sich mit einem Kind unterhalten. Ich kann seine Reaktion einfach nicht abschätzen. Er könnte wütend werden, sich stur stellen oder Einsicht zeigen, es ist alles möglich."

Tyrus seufzte und fuhr sich mit der Hand über die Augen. "Außerdem kann ich meiner Schwester schlecht von meinem Tod erzählen."

Ich verstand was Tyrus meinte, aber war es nicht vielleicht doch besser es gleich zu erzählen? Man konnte zwar die Reaktion von Salviar nicht abschätzen, aber sicher könnten die Andern uns unterstützen. Oder? Ich wusste nicht, wie es gerade um die Politik zwischen den einzelnen Mächten stand, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie sich gegenseitig die Schuld am Verschwinden meines Vaters gaben. Immerhin habe ich sie noch nie zusammen in einem Raum erlebt, außer während meiner Prüfung. Das Ali geschockt sein würde war ebenfalls klar.

Aber wir konnten doch auch nicht tatenlos herumsitzen! Die Vision hat uns die Folgen eines Ereignisses gezeigt das wir nicht kennen. Was ist also, wenn das bloß durch das Erzählen der Vision und falschen Beschuldigungen zum Krieg kommt? 

"Ich glaube ich brauche einen Tag um darüber nachzudenken", sagte ich schließlich leise. Tyrus nickte und stand auf. "Ich glaube es ist Zeit, dass du in Magie unterrichtet wirst, auch wenn es den anderen nicht gefällt. Du wirst lernen müssen, mit ihr umzugehen, vor allem wenn die Vision tatsächlich wahr wird. Ich war von Anfang an dafür..." Den letzten Satz murmelte er, aber ich verstand ihn dennoch.

Die Wächter hatten überhaupt nicht gewollt, dass ich lerne mit meiner Magie umzugehen? Aber wieso? Wollten sie mir damit etwas gutes tun oder hatten sie eher Angst, dass ich dann abhauen würde?

Ich fasse es nicht! Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und stand auf. Es kostete mich einiges an Mühe, nicht auszurasten. Ich hätte von Anfang an auf Lucas hören sollen und niemandem vertrauen. Ohne darauf zu warten, dass Tyrus mich entließ, stürmte ich aus dem Raum.

Meine Wut wurde noch weiter angetrieben, als ich sah wie Blake aus meinem Zimmer kam.

"Was hast du in meinem Zimmer gemacht?", sagte ich, wobei ich mich zu beherrschen versuchte. Blake fuhr herum. "Auf dich gewartet."

"Na klar", lachte ich ironisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Blake war eine Leibwache, also würde er bestimmt auch für Salviar in meinem Zimmer herumschnüffeln.

Blake tat so als wäre er verwirrt. "Ernsthaft. Ich habe wirklich nur auf dich gewartet und wollte gerade gehen, weil..."

"Ach hör doch auf! Das sind eh alles nur Lügen", zischte ich und schob ihn einfach beiseite, um in mein Zimmer zu gelangen. Doch mit einem blitzschnellen Griff schnappte er sich mein Handgelenk.

"Lass mich los", sagte ich und betonte dabei jedes Wort einzeln. Am liebsten hätte ich ihm mit meinem Blick die Hand versengt. Am Ende war das alles bloß eine Masche, um mein Vertrauen zu gewinnen. Ein Stich durchfuhr mein Herz. Und ich naives Ding dachte, dass all das echt wäre, dass es auch Blake etwas bedeutet hätte. Wie hatte ich nur so dumm sein können!

"Du kannst aufhören mit deinen Spielchen und du brauchst auch nicht mehr kommen, um mich zu unterrichten." Mit einem letzten Blick in seine kalten blauen Augen befreite ich mich aus seinem Griff. Was für eine Ironie, dass ich mich mit seinen eigenen Tricks gegen ihn wehrte. Blake hatte keine Chance noch einmal nach mir zu greifen oder er hatte es einfach aufgegeben, immerhin war es jetzt sinnlos. Ich verschwand in meinem Zimmer, schloss die Tür ab und warf mich auf das Bett.

Tränen stiegen mir in die Augen, sodass ich wütend in mein Kissen schrie. Ich war wütend auf mich selbst, aber vor allem war ich enttäuscht. Enttäuscht von Menschen, von denen ich dachte, sie wären meine Freunde. Vielleicht sollte ich doch meinen alten Plan umsetzten, der irgendwie in Vergessenheit geraten war? Aber mit dem Wissen, dass ein Krieg bevorstand, konnte ich schlecht einfach abhauen. Doch plötzlich kam mir etwas in den Sinn, besser gesagt jemand.

Quinn. Er hatte mich schon früher gekannt und war sozusagen ein alter Freund. Außerdem war er von Anfang an ehrlich zu mir gewesen und er hatte sich ebenfalls gewundert, warum ich noch nicht in Magie unterrichtet worden war. Vielleicht war er der einzige dem ich trauen konnte. Aber was war, wenn die Wächter auch ihn für sich eingespannt hatten? Nein, unmöglich. Obwohl...Die Wächter haben ihn geschickt, um mich und Blake zu holen...

Verdammt! Meine Gedanken wurden immer wirrer und drehten sich im Kreis. Als ich einfach nicht mehr herumliegen konnte und meine eigenen Zweifel mich fertig machten, schnappte ich mir zwei Dolche und hechtete durch das ganze Haus zum Saal. Dort angekommen legte ich eine scharfe Bremsung hin und spähte um die Ecke. Es schien gerade niemand da zu sein, also nutzte ich meine Chance. Nur fünf Sekunden später stand ich vor der großen Holztür und schlüpfte durch sie hindurch.

Ich atmete tief ein, bevor ich weiter zum Wald sprintete. Wenn mich jetzt jemand erwischte, würde derjenige mich mit Sicherheit in die Villa verfrachten. Danach dürfte ich dieses Haus bestimmt nicht mehr verlassen. Ohne einen Blick zurück zu werfen lief ich zwischen die Bäume. Mein Weg führte mich zu dem See mitten im Wald.

Ich setzte mich direkt an das Ufer. Das Moos polsterte den Waldboden ab und das hohe Gras kitzelte an den Fingerspitzen. Durch den etwas trüben Himmel kam mir der See viel dunkler vor als das letzte Mal. Das Wetter brachte eigentlich perfekt meine Stimmung zur Geltung. Ich war einfach nur noch enttäuscht und traurig. Seufzend strich ich über das Moos und starrte in den See. Obwohl ich die Warum-Frage eigentlich hatte hinter mir lassen wollen, drängte sie sich mir nun doch wieder auf. 

Plötzlich ertönte hinter mir ein Knacken, als wäre jemand auf einen Ast getreten. Blitzschnell zog ich meine Dolche, schoss in die Höhe und wirbelte herum.

Vor mir stand ein Wolf.

Ein weißer Wolf mit blauen Augen.

Die Tochter der SterneWhere stories live. Discover now