Kapitel 18

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Die nächsten Tage lag ich flach. Der Schnupfen in Kombination mit dem Husten hatte mich vollkommen ausgeknockt. Neben meinem Bett stapelte sich ein Haufen an Taschentüchern und Namila hatte mir einen Tee in die Hand gedrückt. Ich hatte viel geschlafen, sodass es mir jetzt besser ging, obwohl ich noch nicht wirklich über den Berg war.

Quinn schien ehrlich besorgt, denn er kam mich fast jeden Tag besuchen und tauschte das Buch aus, wenn ich ein neues brauchte oder redete einfach mit mir. 

Blake kam kein einziges Mal...

Ich schüttelte den Kopf und kehrte wieder ins hier und jetzt zurück. Wie von selbst war ich vor ein paar Minuten - oder war es schon länger her? - in den Trainingsraum gewandert. Mit dem Bogen in der Hand stand ich nun vor der Zielscheibe und starrte sie einfach nur an. Was tat ich hier überhaupt? Ich wusste es nicht.

Seufzend legte ich mir den Köcher um ehe ich einen Pfeil aus ihm entnahm. Ich spannte ihn ein und hob den Bogen an.

~*~

"Weißt du, mein Liebling, das hier ist viel mehr als ein Pfeil, viel mehr als eine Waffe", sagte meine Mama und sah mich an. "Löse dich von der Welt und lasse alle deine Emotionen und Probleme in diesen Pfeil übergehen, dann wird er von selbst sein Ziel finden. Aber eines musst du bedenken; Das Ziel ist nicht immer die Scheibe."

Meine Mama schien in Gedanken woanders zu sein, während sie mir all das erklärte. Ihre welligen, braunen Haare waren offen und wurden von dem Wind leicht bewegt. Während ich zu ihr schaute, blickte sie in den Wald. Schon immer habe ich sie bewundert, sie war so eine starke Frau gewesen. Außerdem war sie eine Schönheit, weshalb es kein Wunder war, dass mein leiblicher Vater ihr verfallen war.

Plötzlich blickte meine Mutter auf mich hinab. Ihre hellblauen Augen strahlten keine Kälte aus, sondern reine Zuneigung und Liebe. "Irgendwann wirst du es verstehen. Alles was ich...alles was wir, getan haben."

~*~

Der Pfeil fand sein Ziel spielend leicht. Es hatte mich nicht überrascht, dass eine Erinnerung zu mir zurückgekehrt war. Das passierte in letzter Zeit häufiger. Meistens waren es eigentlich unbedeutende Szenen, aber für mich war es viel mehr. Es war meine Vergangenheit, Dinge die ich verloren hatte kamen nun zurück.

"Hi."

Erschrocken fuhr ich zusammen und mein Herz stolperte für einen Moment. "Um Himmels Willen, Quinn! Erschreck mich doch nicht so", rief ich und wandte mich zu ihm um. "Was wäre, wenn ich einen Pfeil auf dich geschossen hätte!"

Quinn zuckte lächelnd mit den Schultern. "Vermutlich hätte ich ihn zu einem Häufchen Asche verwandelt", meinte er und versenkte die Hände in die Hosentaschen.

"Stimmt auch wieder", murmelte ich grinsend. Auf einmal kam mir eine Idee. "Ähm Quinn?"

"Ja", sagte er als ich nicht weitersprach und ging so weit auf mich zu bis er nur noch eine Armeslänge entfernt von mir war.

"Würdest du...Würdest du mich eventuell trainieren?", fragte ich vorsichtig, da ich keine Ahnung hatte was er davon hielt. Mein Freund legte den Kopf schief, während er mir tief in die Augen schaute. Als ich so langsam nervös wurde, fing er schließlich an zu sprechen.

"Ja..."

Ehe er weitersprechen konnte fiel ich ihm um den Hals. "Danke!", rief ich.

Quinn lachte. "Ich war noch lange nicht fertig. Ich werde dich nicht so viel im Kampf schulen, sondern versuchen deine Magie zu wecken."

Ich löste mich wieder von ihm.

"Sicher?" Da ich nichts über meine Magie wusste, konnte ich nicht einschätzen ob ich dafür schon bereit war. Einerseits freute ich mich, aber andererseits war da auch noch Angst. Der Stern sollte angeblich mächtig sein. Was war wenn ich jemanden verletzte?

"Ja", antwortete Quinn und legte mir die Hände auf die Schultern, um mir tief in die Augen zu sehen. "Du würdest es früher oder später sowieso lernen müssen und ich bin bei der momentanen Situation lieber für früher. Außerdem hast du ein angeborenes Talent dafür." Seine linke Hand ließ er von meiner Schulter zu meinem Herzen rutschen. "Hier drin steckt mehr als du glaubst. Du bist nicht nur dein Charakter, du hast auch die Fähigkeit alle Elemente zu bändigen und großes zu vollbringen. Ich bin der festen Überzeugung, dass du alles schaffen kannst, einfach weil du Du bist."

Seine Worte trieben mir Tränen in die Augen, trotzdem verschwand das Lächeln auf meinem Gesicht nicht. "Danke", hauchte ich und umarmte ihn ein weiteres Mal. Winter hatte Recht. Quinn war, ist und wird vermutlich auch immer mein Freund sein, egal was die Wächter oder sonst wer sagte. Der Rothaarige hielt mich lange fest und ich genoss die Umarmung. Vielleicht war es so etwas simples wie eine Umarmung, was ich gerade gebraucht hatte.

Aber die Ruhe hielt nicht lange an. Ein Schrei hallte durch das gesamte Haus und ich zuckte erschrocken zusammen.

Wie aus dem nichts wurde ich traurig und ich hatte das Gefühl, mein Herz würde zerspringen, bis sich alles rasend schnell in Wut verwandelte. Ich keuchte auf und wäre beinahe in die Knie gegangen, wenn ich mich nicht an Quinn festgehalten hätte. Mein Geist war völlig überfordert, denn diese Gefühle gehörten eindeutig nicht zu mir.

"Verdammt!", stieß Quinn aus und griff mir unter die Arme. "Wir müssen sofort nach oben!"

"Was...ist das?", presste ich mühsam hervor. Während der Rothaarige mich vorwärts zog, versuchte ich irgendwie meine Gefühle zu ordnen, aber alles verschwamm immer mehr. Meine Gefühle verschmolzen mit den Fremden und mein Kopf drohte zu zerspringen. 

"Salviar ist so aufgewühlt, dass er seine Macht nicht im Zaum halten kann. Er kann Gefühle kontrollieren und wenn die seinen zu intensiv sind, brechen sie aus und gehen auf andere über. Du bist ein leichtes Ziel, weil du dich nicht wehren kannst", erklärte er mir. Als Quinn bemerkte, dass ich immer langsamer wurde, hob er mich hoch. 

Als wir in der Eingangshalle ankamen, wurden wir mit heillosem Chaos konfrontiert. Blake, Salviar, Namila und ein in einen schwarzen Mantel gehüllte Person standen Tyrus und Alischan gegenüber. Salviar ließ sich gerade ein Messer von Blake reichen. 

Niemand achtete auf uns. In mir machte sich neben der Wut ein weiteres Gefühl breit. Entschlossenheit, unerschütterlich endgültige Entschlossenheit. Doch ich war nur verwirrt.

"Bitte tu das nicht Salviar!", rief Tyrus, doch ich wusste, dass es nichts bringen würde. Was auch immer der Wächter des Wassers dort tat, er würde es durchziehen.

"Euer Flehen wird euch nicht retten", erwiderte Salviar kalt. Jegliche Wärme schien aus seinen Augen gewichen und er schnitt sich mit dem Messer in die Hand. 

"Hiermit löse ich offiziell den Friedensvertrag auf!"

Seine Worte schienen durch das gesamte Gebäude zu hallen. Als der Blutstropfen auf den Boden ankam überkamen mich schreckliche Schmerzen, die ich bisher nur einmal erlebt hatte, als ich die Insel betrat. Ich schrie auf und krallte mich in Quinns Shirt. Doch dieses Mal trieben sie mich die Schmerzen in die Ohnmacht. Das letzte was ich sah war wie Salviar, Blake und der Unbekannte durch ein Portal verschwanden. Die einzige, die von ihnen zurückblieb war Namila, deren braune Augen sich in meine bohrten.

Die Tochter der SterneWhere stories live. Discover now